Schockierend ist die Meldung des Landkreises Marburg- Biedenkopf von Dienstag (11. Juli). Das Online Portal „waffe digital“ wird die Antragstellung ab sofort erleichtern.
Mehrere Fragen kamen sofort auf, als ich diese Nachricht las. Der Landkreis erklärt, dass im Zuge des Onlinezugangsgesetzes (OZG) “wesentliche Behördengänge” digital möglich werden sollen. Scheinbar ist das ein weiterer Schritt in die Richtung technischer Moderne, doch an der total falschen Stelle.
Wichtige und notwendige Antragstellungen und Besuche bei Behörden werden in der Meldung betont. Genau solche “wesentlichen” Erledigungen werden unter das OZG fallen. Wo aber ist die Notwendigkeit zu Waffenbesitz? Inwiefern ist die Beantragung einer Schusswaffe “wesentlicher” als die Erneuerung meines Personalausweises? Dafür muss man nämlich noch immer persönlich im Bürgerbüro antanzen. Die Priorisierung von Waffen ist gänzlich daneben.
Doch nicht nur die Rangfolge der Behörden bei der Umsetzung des OZG ist beunruhigend; viel schlimmer ist der Fakt, dass dieses Gesetz überhaupt im Kontext des Waffenbesitzes durchgesetzt wird. Die Digitalisierung dieser Anträge wird den Waffenbesitz zukünftig nur erleichtern und einen Abbau notwendiger bürokratischer Hürden beschleunigen. Der Besitz von Schusswaffen ist grundsätzlich eine eigene, separate Debatte. Doch die Antragstellung bequemer und stressfreier zu gestalten, ist potentiell gefährlich. Waffen sind ein Mittel zur Gewaltanwendung und sollten strengstens reguliert werden. Diese Neuerung führt jedoch genau zum Gegenteil.
Es geht nämlich um Nutzerfreundliche Änderungen, die auch in der Meldung erläutert werden. Ein Antragsassistent hilft, den richtigen Antrag zu identifizieren. Alle notwendigen Dokumente können online eingereicht werden; und nur mit Angabe der Postleitzahl wird die richtige Behörde gleich ausgewählt. Das sind keine generellen Systemupdates, sondern Erleichterungen für die nächsten potentiellen Waffenbesitzer.
Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zeigen bereits, wie gefährlich es ist, die Zerstörungskraft von Schusswaffen zu unterschätzen. Dass nicht jeder, der sich die Führung einer Waffe zutraut, auch eine besitzen sollte, wird ebenso deutlich. Trägt die Digitalisierung bei Waffenbehörden denn zu einer leichteren Regulierung bei? Ich kann es mir nicht vorstellen
In Deutschland ist der Besitz einer Waffe zum Sportschießen auch ohne Waffenschein erlaubt. Die Beantragung einer solchen Waffenbesitzkarte für den Sport kann ab sofort ebenso online abgeschlossen werden. Damit wird eine gefährliche Distanz aufgebaut zwischen dem Waffenbesitzer und der zuständigen Behörde. Das gleicht mehr einer Amazon- Bestellung als der Beantragung zum Waffenbesitz. Wie wird so eine optimale Regulierung garantiert?
Die Waffenbehörde ist als zuständiges Organ verpflichtet, genau zu prüfen, wem der Waffenbesitz erlaubt wird. Dank des Online-Antragsportals ist die persönliche Beantragung jedoch nicht mehr notwendig. Damit wurde eine Hürde zum Waffenbesitz sowie eine Möglichkeit zur genauen Beurteilungen der Antragstellenden entfernt. So kommt die Waffenbehörde nicht ihrer Verantwortung nach.
Natürlich stellt sich auch die Frage, wieso die Ressourcen für Online-Anträge nicht auf einen Bereich konzentriert werden, der es wirklich benötigt. Schließlich hat die Corona- Pandemie gezeigt, wer wirklich unter der fehlenden Digitalisierung leidet.
Das war zum großen Teil das Bildungssystem. Wer keinen Laptop oder kein Tablet hatte, musste während der Zeit des „homeschooling“ hoffen und bangen, dass die Schule einige Geräte zur Verfügung stellen kann. So entstand ein klarer Nachteil für Kinder, deren Eltern finanziell nicht so gut aufgestellt waren oder in einer Gegend mit schlechter Internetverbindung lebten. Dass der Staat nicht alles darauf fokussiert, eine solche ungleiche Situation für Kinder zukünftig zu verhindern, ist unbegreiflich. Aber dass die Digitalisierung im Rahmen von Waffenbesitz auch noch vor der Bildung rangiert, ist einfach bizarr.
Diese Entwicklung ist komplett unverständlich. Der leichtere Erwerb eines Waffenscheins und einer Waffenbesitzkarte ist Ausdruck der Priorisierung von Schusswaffen über wirklich wichtige Baustellen wie das Bildungswesen. Die Begründung, dass das ja alles entsprechend der Gesetzeslage passiere – schließlich muss ja das OZG berücksichtigt werden – ist einfach unfassbar.
* Acelya Simsek