Forschung in Marburg: Täuschungsmanöver hemmt Krebswachstum

Eine molekulare Täuschung treibt Tumorzellen in den Selbstmord. Eine fachübergreifende Zusammenarbeit erprobt diesen neuen Behandlungsansatz gegen Krebswachstum.

Ein maßgeschneidertes Molekül behindert Krebswachstum, indem es einen Proteinkomplex blockiert, dessen Bindungspartnern es täuschend ähnelt. Die betroffenen Zellen schalten daraufhin ein Selbstmordprogramm an. Das hat eine fachübergreifende Forschungsgruppe aus der Marburger Krebsmedizin und Chemie mit Unterstützung aus München herausgefunden.
Das Team berichtet in der Juliausgabe des Fachblatts „Cell Chemical Biology“ über seine Ergebnisse. Viele zelluläre Abläufe beruhen darauf, dass mehrere Proteine zusammenarbeiten. Auch die Entstehung von Krebs hängt von solchen Wechselwirkungen ab.
„So koppelt der Proteinkomplex ELOB/C an andere Proteine, von denen viele zu Krebserkrankungen beitragen“, erklärte der Marburger Biochemiker Dr. Robert Liefke vom Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung der Philipps-Universität als einer der Leitautoren des Fachaufsatzes. Krebszellen aller Krebsarten benötigen die beiden Bestandteile des Komplexes, ELOB und ELOC, um zu wachsen.
Die Kopplung zwischen dem Proteinkomplex ELOB/C und seinen Partnern beruht darauf, dass ELOB/C eine Bindungstasche enthält, zu der es ein Gegenstück auf den Partnermolekülen gibt. Dieses Gegenstück – die Zielsequenz – passt in die Bindungstasche wie eine Zugangskarte in das Lesegerät einer Hotelzimmertüre. Die Zielsequenz umfasst Aminosäuren in einer ganz bestimmten Abfolge.
Fachleute haben der Zielsequenz einen eigenen Namen gegeben. Sie nennen sie „BC-Box“.
„Die BC-Box schmiegt sich in die Bindungstasche des ELOB/C-Komplexes“, erläuterte Juniorprofessorin Dr. Olalla Vázquez vom Marburger Fachbereich Chemie. Sie ist eine weitere Leitautorin der Studie.
„„Aufgrund dieser Passung vermag ELOB/C mit den Partnerproteinen zusammenzuarbeiten“, erläuterte sie. Wie lässt sich verhindern, dass ELOB/C das Krebswachstum fördert?
Die fachübergreifende Zusammenarbeit an der Schnittstelle von Krebsforschung, molekularer Zellbiologie und Biochemie gehört zu den Stärken der Marburger Naturwissenschaften und Medizin. Diesen Vorteil machten sich Vázquez und Liefke zunutze, um einen neuartigen Ansatz der Krebsbekämpfung auszuprobieren.
Um ELOB/C zu blockieren, entwickelten die Arbeitsgruppen der beiden ein kurzes, proteinartiges Molekül. Dieses sogenannte Peptid ahmt die Zielsequenz nach. „Das maßgeschneiderte Peptid passt genau in die Bindungstasche von ELOB/C, so dass dort kein Platz mehr für die Zielsequenz anderer Proteine bleibt“, berichtete Vázques‘ Mitarbeiter Van Tuan Trinh, der ebenfalls als Koautor firmiert.
Das Täuschungsmanöver hindert den ELOB/C-Komplex daran, mit seinen Partnern zusammenzuwirken. Das wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur im Reagenzglas nach, sondern auch in Zellkultur und damit in der natürlichen Umgebung der beteiligten Biomoleküle. „Behandelt man Krebszellen mit unserem Peptid, so zeigen sie eine gestörte Genaktivierung und leiten vermehrt ein Zelltodprogramm ein, das zu ihrem Absterben führt“, legte Mitverfasserin Sabrina Fischer aus Liefkes Labor dar.
„Die Bindungstasche von ELOB/C zu blockieren, ist nach unseren Befunden eine praktikable Strategie, um das Wachstum von Krebszellen zu hemmen“, fasste Liefke die Ergebnisse zusammen. Vázquez ergänzte: „Unsere Erkenntnisse könnten als Ausgangspunkt dienen, um neuartige Medikamente gegen Krebs zu entwickeln.“
Die Lebens- und Naturwissenschaften gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Philipps-Universität. Dr. Olalla Vázquez hat eine Juniorprofessur für Chemische Biologie an der Philipps-Universität inne. Der Biochemiker Dr. Robert Liefke leitet eine Nachwuchsgruppe am Marburger Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung.
Neben den Arbeitsgruppen von Vázquez und Liefke sowie weiteren Forscherinnen und Forschern der Philipps-Universität beteiligte sich Dr. Ignasi Forné vom Biomedizinischen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München an der Veröffentlichung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziell unterstützt.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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