Drei Tage lang war Marburg das Zentrum der deutschsprachigen Blinden. Von Donnerstag (18. Mai) bis Samstag (20. Mai) fanden an drei verschiedenen Orten im Stadtgebiet die „Selbsthilfetage“ des DVBS statt.
Veranstaltet wurden sie vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS). 1916 war diese Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Sehbeeinträchtigungen in Marburg gegründet worden. Seither setzen sich in diesem Verein Sehbehinderte und Blinde für ihre Interessen vor allem in Ausbildung, Studium und Beruf sowie im Alltag ein.
Den Auftakt der Selbsthilfetage bildete ein abendliches Treffen am Himmelfahrtstag in Cappel. Dabei hatten die Mitglieder Gelegenheit, den neuen geschäftsführer des Vereins kennenzulernen und zwanglos in austausch miteinander zu treten.
Dem berufsbezogenen Austausch war der zweite Tag gewidmet. Die unterschiedlichen Fach- und Interessengruppen diskutierten ihre spezifischen belange am Freitag (19. Mai) in den Räumlichkeiten der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) auf dem schlagberg. Die Themen reichten dabei von der Ausbildung und der Arbeitsvermittlung über die Tätigkeit in Medienberufen bis hin zu besonderen Belangen von Menschen mit einer Sehbehinderung.
Die Schwierigkeiten mehrfachbehinderter Blinder stellte die neue Interessengruppe „LowVisionPlus“ sehr anschaulich – oder besser handgreiflich – dar: Interessierte konnten dort mit einer Hand ein Kissen beziehen, einhändig Papiere in ein Ringbuch einordnen oder anhand von Hörbeispielen mithören, wie sich Tinnitus auf die Wahrnehmung von Musik auswirken kann. Diese praktischen Vorführungen zum Mitmachen sollten einerseits aufzeigen, dass auch bei einer zusätzlichen Beeinträchtigung immer noch Möglichkeiten zur Lösung von Alltagsproblemen bestehen, dass die Betroffenen dafür erheblich mehr Energie und Konzentration aufbringen müssen als Nichtbehinderte.
Die DVBS-Mitgliederversammlung im Bürgerhaus Cappel bildete am Samstag (20. Mai) den Abschluss der „Selbsthilfetage“ 2023. Neben Diskussionen über die Vereinsarbeit ging es dort auch um die Digitalisierung als Chance wie auch als mögliche Gefahr einer Ausgrenzung von Menschen mit Seh- oder Mehrfachbeeinträchtigungen. Ein weiteres Thema war das „Selbsthilfeparadoxon“, das den Zwiespalt zwischen der Übertragung eigener Betroffenheit auf Andere und der dabei möglichen Gefahr einer Bevormundung, Ausgrenzung oder Überforderung beschreibt.
Einstimmig forderten die 65 Anwesenden die Bundesregierung in einer Resolution dazu auf, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen durch – bereits versprochene – Gesetzesnovellen zu verbessern und ihrer Diskriminierung entgegenzutreten. Am Samstagnachmittag brachen die angereisten Mitglieder aus ganz Deutschland dann wieder auf in ihre Herkunftsorte, wohin sie die Anregungen des Wochenendes mitnahmen.
* Franz-Josef Hanke