Ein neuer Forschungs- und Weiterbildungsbereich am Demokratiezentrum Hessen hat sich der Öffentlichkeit vorgestellt. Wissenschaftsministerin Angela Dorn lobte die „vorbildliche Verbindung von Forschung und Praxis“.
Mit einem Besuch der Hessischen Wissenschaftsministerin Angela Dorn hat sich am Mittwoch (10. Mai) der neue Forschungs- und Weiterbildungsbereich „Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit“ an der Philipps-Universität der Öffentlichkeit vorgestellt. „Populist*innen und Extremist*innen schlagen politischen Profit aus gesellschaftlicher Verunsicherung“, erklärte Wissenschaftsministerin Dorn. „Gerade in Zeiten von Krisen und beschleunigtem Wandel braucht es deshalb die gemeinsame Anstrengung der Gesellschaft, unsere Demokratie lebendig zu halten und gegen ihre Feinde zu verteidigen.“
Das Demokratiezentrum an der Philipps-Universität koordiniert bereits viele Maßnahmen im Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“. Seit 2022 erhält es zusätzlich jährlich 300.000 Euro, um den neuen Forschungs- und Weiterbildungsbereich zu Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit aufzubauen.
„Demokratietheoretische Grundlagenforschung, anwendungsbezogene Wissenschaft und die Umsetzung im Rahmen des Landesprogramms im Sinne eines wissenschaftlichen Transfers finden hier unter einem Dach statt, und die Erkenntnisse aus Beratung und Weiterbildung fließen zurück in die Forschung“, erläuterte Dorn. „Diese Verbindung von Forschung und Praxis ist vorbildlich.“
Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss betonte: „Durch seine bisherige Arbeit ist das Demokratiezentrum am Puls der Zeit von gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Mit dem neuen Forschungs- und Weiterbildungsbereich hat es nun die große Chance, zu diesen Dynamiken auch vertiefend zu forschen. Die Verzahnung mit dem weiterbildenden Masterstudiengang Beratung im Kontext Rechtsextremismus hilft, Forschungserkenntnisse aus dem Feld mit in die Lehre zu nehmen.“
Dr. Reiner Becker leitet das Demokratiezentrum. „Dank der zahlreichen Kooperationspartner bietet der neue Forschungs- und Weiterbildungsbereich nochmals ganz andere Möglichkeiten für den Wissenschafts-Praxis-Transfer“, erläuterte er. „Wir wollen keine großen Einstellungsstudien durchführen, sondern vielmehr kleinräumig – mit der Lupe sozusagen – die Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus untersuchen.“
Der neue und landesweite Forschungsbereich zu den Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit am Demokratiezentrum Hessen an der Marburger Uni arbeitet seit Ende 2022 und wird vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) finanziell gefördert. Zum Forschungsbereich zählt auch der bundesweit einmalige weiterbildende Masterstudiengang „Beratung im Kontext Rechtsextremismus“, der seit dem Wintersemester 2022/2023 angeboten wird.
Der Forschungs- und Weiterbildungsbereich bündelt nun wissenschaftliche Arbeit und Beratungsarbeit in den Bereichen Demokratiefeindlichkeit, Rechtsextremismus-Bekämpfung und Antirassismus unter einem Dach. Das Anknüpfen an die bestehenden Strukturen des Demokratiezentrums soll dabei zu Synergien und einer größeren Sichtbarkeit im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus führen.
Schwerpunkte sollen die demokratietheoretische Grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung sowie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen, aktuellen politischen wie auch historischen Entwicklungen sein. Der Forschungsbereich widmet sich drei Teilprojekten.
Auf der Grundlage eines webbasierten Geoinformationssystems „DIS“ wurden für DemoGIS Hessen verschiedene öffentlich zugängliche Daten auf Kreis-,
Gemeinde- und Ortsteilebene in Hessen zusammengeführt und in Karten visualisiert. Diese Daten ermöglichen empirische Vertiefungsstudien zu ortsbezogenen Ausprägungen von Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit in Hessen sowie die Entwicklung von Konzepten und Aktivitäten für die Präventionsarbeit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern. Das GIS für DemoGIS Hessen wurde in Kooperation mit Prof. Bernd Belina von der Goethe-Universität Frankfurt 2020 bis 2021 entwickelt.
Die Teams der Mobilen Beratung, der Opfer- und der Distanzierungsberatung in Hessen dokumentieren ihre Beratungstätigkeiten im Kontext Rechtsextremismus nach einem standardisierten Verfahren in einer Datenbank. Auf der Grundlage dieser Daten können zum Beispiel empirische Vertiefungsstudien zu konkreten Handlungsfeldern der Mobilen Beratung, Prozessanalysen und methodologisch-methodische Klärungen erfolgen und in Kooperation mit den Beratungsteams bestehende Angebote weiterentwickelt werden.
Vorfälle mit einem rassistischen Hintergrund werden immer häufiger Anlass für Beratungsanfragen. Dabei spielen seit 2020 die Morde von Hanau eine große Rolle; auch nehmen Vorfälle mit einem Alltagsbezug, etwa in Schulen oder in Kindertagesstätten, einen größeren Raum ein.
In der Forschung geht es hier zum Beispiel um den Umgang mit Rassismus im Schulalltag oder die Frage von haltungsbezogenen Grundlagen zum Umgang mit Diskriminierung und Rassismus in der Schule. Grundlagen- und anwendungsbezogene Studien im Feld „Wirkung von Rassismus auf Psyche und Gesundheit“ sind geplant. Sie sollen als Pilot- und Kooperationsstudien mit anderen Forschungsinstituten, Initiativen – und Netzwerken – besonders mit Blick auf die Betroffenenperspektive umgesetzt werden.
Der Forschungs- und Weiterbildungsbereich „Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit: Forschung und wissenschaftliche Weiterbildung“ am Demokratiezentrum Hessen ist zunächst für den Zeitraum von 2022 bis 2026 bewilligt; der Zuschuss des hessischen Wissenschaftsministeriums für 2022 betrug 198.000 Euro, für die Folgejahre stehen je 300.000 Euro zur Verfügung.
Das Demokratiezentrum an der Philipps-Universität ist Fach- und Geschäftsstelle des „Beratungsnetzwerks Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“, das landesweit kostenlos und vertraulich Schulen, Eltern und Familienangehörige, Kommunen, Vereine und andere Hilfesuchende in Fällen von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus berät und präventive Hilfen anbietet. Zudem ist es Träger der landesweiten „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen“ (RIAS Hessen), die im Frühjahr 2022 an den Start ging.
Seit Jahren koordiniert das Demokratiezentrum viele Maßnahmen im Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“. Finanziert wird das Demokratiezentrum durch dieses Landesprogramm sowie das Bundesprogramm „Demokratie leben!“.
* pm: Philipps-Universität Marburg