Die Deportation der Sinti aus Marburg und Umgebung hat vor 80 Jahren stattgefunden. Die Stadt hat am Donnerstag (23. März) an dieses grausame Verbrechen erinnert.
Am 23. März 1943 wurden 78 Sinti aus Marburg und Umgebung nach Auschwitz deportiert. Sie waren zwischen zwei Monaten und 67 Jahre alt. Viele von ihnen wurden dort Opfer des nationalsozialistischen Massenmords.
Die Stadt Marburg hat der rassistisch verfolgten und ermordeten Marburger Sinti auch 2023 wieder gedacht. „80 Jahre ist es bereits her; aber die Verbrechen des Nationalsozialismus haben nichts von ihrem Schrecken verloren“,sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies während der Gedenkveranstaltung im Historischen Saal des Rathauses, an der unter anderem auch Bürgermeisterin Nadine Bernshausen, Stadträtin Kirsten Dinnebier und weitere Mitglieder des Magistrats teilnahmen.
Spies erinnerte daran, wie am 23. März 1943 Menschen aus Marburg und Umgebung in Viehwaggons von Güterzügen deportiert wurden und an diesem Tag ein langer Leidensweg begann, der bis in die Gegenwart andauert. „Diskriminierung und jede andere Form der Menschenfeindlichkeit haben bei uns keinen Platz“, sagte der Oberbürgermeister.
Auch Maria Strauß vom Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma sprach bei der Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestags dieses schrecklichen Ereignisses: „Unsere Menschen wurden von Zuhause oder auch direkt von der Straße abgeholt.“ Die Erinnerung daran mache deutlich, dass es nicht um Zahlen gehe, sondern um Männer, Frauen und Kinder, die hier aßen, spielten, lebten und arbeiteten.
„Erinnerung heißt, Menschen einen Raum in den eigenen Gedanken zu geben“, sagte Strauß. „Und das tun wir heute.“
Die Redebeiträge wurden musikalisch vom Sunny Franz Duo umrahmt. Antonin Bau und Emilia Warmbrunn vom Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) trugen zwei Zeitzeugenberichte aus dem Buch „Flucht, Internierung, Deportation, Vernichtung“ – bearbeitet von Josef Behringer – vor, in dem hessische Sinti und Roma von ihrer Verfolgung während des Nationalsozialismus berichten.
So erzählten sie von Amanda Meyer, geb. Schanne, die mit ihrer Familie und dem Zirkus ihres Onkels durch Italien, Österreich, Holland und Deutschland reiste, bevor sie nach Marburg kam. Als 13-Jährige wurde sie mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder von der Polizei abgeholt und zum Marburger Bahnhof gebracht, von wo sie in einem Viehwaggon drei Tage lang nach Auschwitz deportiert wurden. Während ihre Mutter und ihr Bruder dort ermordet wurden, konnte ihr Vater nach einem Jahr die Entlassung Amanda Meyers erwirken.
Die Geschichte von Heinz Strauß ist eine andere, spiegelt jedoch ebenso die Grausamkeit der nationalsozialistischen Verbrechen wider: Mit seiner Familie, die ein Schaustellergeschäft betrieb, lebte er sechs Jahre lang in Cölbe, bevor auch sie nach Auschwitz deportiert wurden. Er wurde einer Arbeitskolonne in Auschwitz-Birkenau zugeteilt, die die Asche aus dem Krematorium in Loren schaufeln und wegtransportieren musste.
Seine Mutter, seine Geschwister und weitere Verwandte wurden verbrannt. Nach einem Jahr wurde er nach Buchenwald transportiert, ebenfalls wieder zu Zwangsarbeit verpflichtet und dann nach Ellrich verlegt, wo er seinen Vater wiederfand. Nach weiteren Transporten nach Dora und Magderode wurde er schließlich befreit.
Im Anschluss fand die Kranzniederlegung an der Gedenktafel am ehemaligen Landratsamt in der Barfüßerstraße statt, nachdem der KiJuPa-Vorsitzende Lasse Wenzel und Emilia Warmbrunn die Namen der deportierten Menschen verlesen haben: „Adolf Braun (4 Jahre alt), Albert Braun (6 Jahre alt), Alfred Braun (1 Jahr alt), Alwine Braun (43 Jahre alt), Brigitte Braun (10 Jahre alt), Gertrud Braun (11 Jahre alt), Gisela Braun (13 Jahre alt), Margarete Braun (15 Jahre alt), Marianne Braun (17 Jahre alt), Max Braun (18 Jahre alt), Bernhardine Einacker (52 Jahre alt), Emma Einacker (25 Jahre alt), Adolf Kreutz (30 Jahre alt), Anna Kreutz (10 Jahre alt), Anna Kreutz (15 Jahre alt), Anni Kreutz (5 Jahre alt), Antonia Kreutz(40 Jahre alt), Arnold Kreutz (22 Jahre alt), Christine Josefine Kreutz (51 Jahre alt), Dora Kreutz (8 Jahre alt), Dorothea Kreutz (19 Jahre alt), Elisabeth Kreutz (13 Jahre alt), Hermann Kreutz (19 Jahre alt), Josefine Kreutz (11 Jahre alt), Julius Kreutz (27 Jahre alt), Karl Kreutz (17 Jahre alt), Konrad Kreutz (45 Jahre alt), Laubmann Kreutz (21 Jahre alt), Margarethe Kreutz (13 Jahre alt), Martha Kreutz (9 Jahre alt), Mathias Kreutz (43 Jahre alt), Mathilde Kreutz (67 Jahre alt), Theodor Kreutz (12 Jahre alt), Alwine Reinhardt (14 Jahre alt), Erwin Reinhardt (2 Monate alt), Helene Schäfer (32 Jahre alt), Magdalene Schäfer (6 Jahre alt), Renate Schäfer (8 Jahre alt), Amanda Schanne (13 Jahre alt), Maria Schanne (49 Jahre alt), Robert Schanne (12 Jahre alt), Frieda Steinbach (32 Jahre alt), Julius Steinbach (4 Jahre alt), Marianne Steinbach (9 Jahre alt), Siegfried Steinbach (7 Jahre alt), Hildegard Straub (16 Jahre alt), Adam Strauß (21 Jahre alt), Agnes Strauß (12 Jahre alt), Brigitte Strauß (2 Jahre alt), Elfriede Strauß (24 Jahre alt), Elise Strauß (50 Jahre alt), Ewald Strauß (48 Jahre alt), Heinz Strauß (17 Jahre alt), Heinz Strauß (4 Monate alt), Julius Strauß (18 Jahre alt), Salamande Strauß (15 Jahre alt), Alwine Weiss (54 Jahre alt), Willy Weiss (21 Jahre alt), Anna Winter (22 Jahre alt), Elisabeth Winter (9 Jahre alt), Friedrich Winter (3 Jahre alt), Georg Winter (9 Jahre alt), Gertrud Winter (2 Jahre alt), Hans Winter (7 Jahre alt), Johanna Winter (10 Jahre alt), Klara Winter (7 Monate alt), Richard Winter (3 Jahre alt), Rosa Winter (35 Jahre alt)!“
Zum Schluss bat Spies die Anwesenden, jeweils drei weiteren von der Gedenkveranstaltung zu berichten und weiterzugeben, was sie dabei gehört haben. Denn Erinnerung müsse gelebt werden, um präsent zu bleiben.
* pm: Stadt Marburg