Unwort des Jahres: Klimaterroristen als Bedrohung statt Schutz

Das „Unwort des Jahres“ 2022 ist „Klimaterroristen“. Das Hat die Jury am Dienstag (10. Januar) in Marburg bekanntgegeben.
Mit dem Ausdruck „Klimaterroristen“ wird im öffentlich-politischen Diskurs pauschal Bezug auf Akteurinnen und Akteure genommen, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen. Der Ausdruck wurde im öffentlichen Diskurs gebraucht, um Aktivist*innen und deren Protest zu diskreditieren. Die Jury kritisiert die Verwendung des Ausdrucks, weil Klimaaktivismus mit Terrorismus gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden.
Unter Terrorismus ist das systematische Ausüben und Verbreiten von Angst und Schrecken durch radikale physische Gewalt zu verstehen. Um ihre Ziele durchzusetzen, nehmen Terroristinnen und Terroristen dabei Zerstörung, Tod und Mord in Kauf. Durch die Gleichsetzung des klimaaktivistischen Protests mit Terrorismus werden gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt.
Mit der Verwendung des stigmatisierenden Ausdrucks „Klimaterroristen“ verschiebt sich zudem der Fokus der Debatte von den berechtigten inhaltlichen Forderungen der Gruppe hin zum Umgang mit Protestierenden beispielsweise mit Präventivhaft). Die Forderungen der Klimaaktivistinnen und Aktivisten, die Klimakrise durch wirksame politische Maßnahmen zu bewältigen, treten im öffentlichen Diskurs dabei ebenso in den Hintergrund wie die globale Bedrohung durch den Klimawandel. Im Vordergrund steht stattdessen die Frage nach politischen und juristischen Handlungsmöglichkeiten gegen zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure.
„Dass der Klimawandel selbst den eigentlichen Terror darstellt, war eine Position in der öffentlichen Debatte“, berichtete Jury-Sprecherin Prof. Dr. Constanze Spieß von der Philipps-Universität. Der Jury sei jedoch wichtig gewesen, die persönliche Herabwürdigung von Klimaschutzaktivisten durch das diffamierende Wort „Terrorist“ deutlich zu machen.
Der Ausdruck „Klimaterroristen“ reihe sich in ein Netz weiterer Unwörter ein, die dazu dienen, die Aktivistinnen und Aktivisten sowie deren Ziele zu diffamieren und in den Kontext von Gewalt und extremer Aggression zu stellen. Zu dem Netz der weiteren Unwörter zählen „Klimaterrorismus“, „Ökoterrorismus“ oder „Klima-RAF“.
Außerdem kritisiert die Jury als Unwörter auf Platz 2 und 3 im Jahr 2022 „Sozialtourismus“ und „defensive Architektur“. Der Ausdruck „Sozialtourismus“ war bereits 2013 Unwort des Jahres. Von einigen Politikern und Medien wurde damals mit der Verwendung dieses Wortes gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderung insbesondere aus Ost.
Aus aktuellem Anlass hat sich die Jury entschieden, diesen Ausdruck diesmal auf Platz 2 zu setzen. Im Jahr 2022 wurde „Sozialtourismus“ von Friedrich Merz zur Bezeichnung von Menschen aus der Ukraine verwendet, die Zuflucht vor dem Krieg suchen. Die Jury sieht in diesem Wortgebrauch eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen.
Zudem verschleiert der Ausdruck ihr prinzipielles Recht auf Schutz. Die Perfidie des Wortgebrauchs besteht darin, dass das Grundwort „Tourismus“ in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende freiwillige Reisetätigkeit impliziert. Das Bestimmungswort „sozial“ reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem profitieren zu wollen, und stellt die Flucht vor Krieg und die Suche nach Schutz in den Hintergrund.
Bei dem Ausdruck „defensive Architektur“ handelt es sich um eine Übertragung aus dem Englischen „defensive/hostile urban architecture“. Im Deutschen ist der Ausdruck auch unter der Alternativbezeichnung „Anti-Obdachlosen-Architektur“ bekannt. Bei dem Wort defensive Architektur handelt es sich um eine militaristische Metapher, die verwendet wird, um eine Bauweise zu bezeichnen, die sich gegen bestimmte, wehrlose Personengruppen – zumeist Menschen ohne festen Wohnsitz) im öffentlichen Raum – richtet und deren Verweilen an einem Ort als unerwünscht betrachtet. Die Jury kritisiert die irreführende euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise, die gezielt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte.
In diesem Jahr greift die Jury wieder auf die 2013 eingeführte Kategorie des persönlichen Unworts des Gastjurors zurück, um Ausdrücke, die den jährlich wechselnden Gastjuroren am Herzen liegen, zu würdigen. Das persönliche Unwort des diesjährigen Gastes Peter Wittkamp ist „militärische Spezialoperation“: „Der Ausdruck ist eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt, der als das enttarnt werden muss, was er ist: Propaganda, mit der der Kreml nicht nur die gesamte Welt und Deutschland belügt, sondern auch sein eigenes Land und seine Bürger:innen.“
Für das Jahr 2022 erhielt die Jury insgesamt 1.476 Einsendungen. Vorgeschlagen wurden 497 verschiedene Ausdrücke, von denen knapp 55 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen. Unter den häufigsten Einsendungen mit mehr als 15, die aber nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren „Doppel-)Wumms“ mit 52 Nennungen, „Gratismentalität“ mit 26 Nennungen, „Klima-Kleber (18), Klima-RAF (34), „Klimaterrorist(en) mit 32 Nennungen, (militärische) „Sonder-“ oder „Spezialoperation“ mit 64, „mithitlern“ mit 15, „nachhaltig“ mit 18, „Sondervermögen“ mit 54, „Sozialtourismus“ mit 71 und „Zeitenwende“ mit 15 Nennungen.
Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus den vier Sprachwissenschaftler*innen Dr. Kristin Kuck von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Prof. Dr. Martin Reisigl von der Universität Wien, Prof. Dr. David Römer (Universität Kassel), der Jury-Sprecherin Prof. Dr. Constanze Spieß von der Philipps-Universität und der Journalistin Katharina Kütemeyer. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Autor, Gagschreiber, Werbetexter Peter Wittkamp beteiligt.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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