Am 2. Oktober: Diskussion über das Integrationsparadox

Eine Diskussion über das „Integrationsparadox“ mit dem Bestsellerautor Dr. Aladin El-Mafaalani hat am Sonntag (2. Oktober) im EPH stattgefunden. Mehr als 50 Teilnehmende haben mitdiskutiert.
Die Gesellschaft wird offener, freier und diverser; aber zugleich werden die Diskussionen über Diskriminierung, Integration und Rassismus immer aufgeheizter. „Wie kommt es, dass gelingende Integration nicht zu Konfliktfreiheit, sondern wachsenden Konflikten führt?“, lautete die Frage des Bestsellerautors Dr. Aladin El-Mafaalani bei der Diskussion von „Marburg800 weiter denken“ im Erwin-Piscator-Haus (EPH).
Seine Thesen darüber, warum das so ist, hat er in seinem viel beachteten Buch „Das Integrationsparadox“ ausgeführt und unter dem Titel „Zukunft der Integration“ im Rahmen der Stadtjubiläumsreihe „Marburg800 weiter denken“ vorgestellt. Bei einer Podiumsdiskussion wurden seine Ausführungen anschließend mit Blick auf Marburg näher beleuchtet.
„Solange nicht jeder Mensch davon überzeugt sein kann, dass er in seiner Eigenart vollständig akzeptiert und Teil der Gesellschaft ist, solange müssen wir auch in einer weltoffenen Stadt wie Marburg über Integration reden“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zu Beginn der Veranstaltung, die am Sonntag (2. Oktober) passend zum „Tag der kulturellen Vielfalt“ stattfand. „Integration ist eine Bringschuld derer, die schon immer da waren, gegenüber denen, die neu hinzukommen.“
Spies betonte, dass Integration sich nicht nur auf Menschen mit Migrationsbiografie beziehe. Die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung ist wie weitere Veranstaltungen der Zukunftsreihe von „Marburg erfinden“ auf www.yve.tv/marburg800 und www.marburg800.de zu sehen.
El-Mafaalani, der der Veranstaltung per Video zugeschaltet war, eröffnete vor über 50 Teilnehmenden einen ungewöhnlichen und optimistischen Blick auf die Spannungen innerhalb der Gesellschaft. Er illustrierte seine Gedanken mit einem Bild: So hätten früher nur wenige am Tisch gesessen, an dem Entscheidungen getroffen und Privilegien verteilt wurden, alle anderen hätten gewissermaßen am Boden gesessen und nichts vom Kuchen abbekommen. Nach und nach habe sich das aber verändert: Immer mehr Menschen könnten und wollten heute teilhaben, Menschen aus anderen Kulturen ebenso wie Menschen mit anderer sexueller Orientierung oder mit Behinderung. „Das sorgt natürlich für verstärkte Verteilungskonflikte am Tisch“, so der Referent. Auch die Frage, welches der richtige Weg für eine Gesellschaft ist, werde unterschiedlich bewertet.
Die „harmonischen“ Zustände von früher seien im Grunde „katastrophale Zustände“ gewesen, meinte der Osnabrücker Wissenschaftler. Die Konflikte, die heute zutage treten, seien also kein Rückschritt, sondern resultierten aus der größeren Öffnung der Gesellschaft. Auf der anderen Seite mache sich bei denjenigen, die nach diesem Bild noch immer am Boden sitzen, Resignation und Wut breit.
Parallelgesellschaften könnten entstehen. Letztlich sieht der Bestsellerautor aber eine positive, wenn auch konfliktträchtige Entwicklung in Richtung offene Gesellschaft. Ob es auch in Marburg zu den vom Referenten geschilderten „Verteilungskämpfen“ am gesellschaftlichen Tisch komme, wollte Moderatorin Dr. Nkechi Madubuko von den Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion wissen.
Spies wies darauf hin, dass es in Marburg nicht ganz so konfliktträchtig sei wie von El-Mafaalani geschildert. „Integration ist bei uns in der Verwaltung ein Querschnittsthema, das überall mitgedacht werden muss.“ Der Oberbürgermeister verwies beispielsweise auf die Lenkungsgruppe Integration und das Gleichberechtigungsreferat der Stadt.
„Der politische Wille ist in Marburg da“, ergänzte die Vorsitzende Sylvie Cloutier vom Ausländerbeirat. „man fragt nach unserer Meinung, wir können Anträge im Stadtparlament stellen, sitzen in den Ausschüssen.“
Auch die ehrenamtliche Integrationsbeauftragte Xiaotian Tang erklärte: „Alle Türen stehen mir offen.“ Sie sei in vielen Arbeitsgruppen der Stadt dabei und könne als Ehrenamtliche frei reden.
„Vielleicht ist es an unserem ,Tisch‘ hier in Marburg ruhiger als vom Referenten geschildert, weil hier so viele Menschen sind, die gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf die Straße gehen, weil wir in der Debatte, die die Gesellschaft führt, schon sehr weit sind – und auch, weil jedes Jahr 5000 junge Leute in die Stadt kommen“, sagte Spies. Viele gesellschaftliche Prozesse würden in Marburg früh und leidenschaftlich eingeleitet. Wunschlos glücklich müsse man deshalb nicht sein.
Integrationsbeauftragte Tang wünschte sich, dass das Thema politischer Bildung für Menschen mit Migrationshintergrund stärker in den Fokus genommen wird – bei 142 verschiedenen Nationalitäten in der Stadt gebe es ein diverses Verständnis von Demokratie. Politische Bildung sei wichtig, um selbstndig zu leben und etwas zur Gesellschaft beitragen zu können.
El-Mafaalani ist Inhaber des Lehrstuhls für Erziehung und Bildung der Migrationsgesellschaft am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. Mit seinem Buch „Das Integrationsparadox“ wurde er auf den Bestsellerlisten geführt. Von ihm erschienen ist ebenfalls das Buch „Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft“.

* pm: Stadt Marburg

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