Eine neue Bindestelle an der Zellmembran haben Forschende identifiziert. Sie spielt eine Rolle bei Erkrankungen von Netzhaut und Gehör.
Die Wechselwirkungen von Proteinen und Lipiden (Fetten) in Membranen untersucht ein Team um Sebastian Thallmair am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) mit Hilfe von Modellrechnungen. Im fassförmigen „Tubby-Protein“ fanden sie so eine bislang unbekannte Bindungsstelle, die zur Aufklärung verschiedener Krankheitsbilder beitragen könnte.
Funktioniert das „Tubby-Protein“ in den Zellen nicht, werden Störungen im Energiehaushalt, Fettleibigkeit, Abbau der Netzhaut und Gehörverlust beobachtet. Die genauen Hintergründe für diese Fehlfunktionen sind unklar. Daher sind Erkenntnisse zur Funktionsweise von Tubby wichtig.
Die Familie der „Tubby-Proteine“ spielt eine wichtige Rolle für den Transport von Proteinen in der Zellmembran. In einer genau passenden „Tasche“ binden sie Rezeptorproteine und schleusen sie in feine Härchen. Diese „primären Zilien“ fungieren als Antennen, die Signale außerhalb der Zelle erkennen und ins Zellinnere weiterleiten.
Ist ihre Funktion und damit die Signalweiterleitung gestört, können Krankheiten – sogenannte „Ziliopathien“ – auftreten. Damit „Tubby“ funktioniert, muss es an die Innenseite der Membran andocken. Das geschieht über ein spezifisches Lipid „PI4,5P2“, das ausschließlich in der Zellmembran vorkommt.
Das Team um FIAS-Fellow Dr. Sebastian Thallmair sowie Prof. Dr. Dominik Oliver von der Philipps-Universität und Prof. Dr. Siewert-Jan Marrink von der Universität Groningen in den Niederlanden untersuchte den Bindungs-mechanismus von Tubby an dieses Signallipid genauer. In ihrer aktuellen Veröffentlichung beschreiben sie eine bisher unbekannte Bindestelle des Tubby-Proteins.
„Mit computergestützten Berechnungen identifizierten wir eine zweite Bindungstasche für das Signallipid neben der bereits bekannten“, berichtete Thallmair. Grundlage fürdiese Modellrechnungen sind die bekannte Protein-Struktur sowie Informationen zu chemischen und physikalischen Bindungsvorlieben oder Abstoßungsreaktionen einzelner Atomgruppen.
Um diese die Berechnungen zu überprüfen, setzte das Team anschließend Mutationen in der prognostizierten Bindestelle – die daraufhin nicht mehr funktioniert. Das destätigte, dass die zweite Bindungstasche in lebenden Zellen unverzichtbar für die Funktion von Tubby ist. Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass Tubby an der Zellmembran andocken kann.
Darüber hinaus zeigte das Team, dass beide Bindestellen kooperieren. „Das bedeutet, dass erstaunlicherweise zwei gebundene Signallipide mehr als doppelt so stark wirken wie nur ein gebundenes Signallipid“, erklärte Thallmair.
Fluoreszenzmarkiertes Tubby-Protein wird auch als Marker verwendet, um Rückschlüsse auf die Lipid-Konzentration verschiedener Membranbereiche zu erhalten. „Wir wollen beispielsweise verstehen, wie das Signallipid –
nachdem es abgebaut wurde – wieder synthetisiert wird“, erläuterte Thallmair. „Denn es wird offensichtlich nur in bestimmten, eng begrenzten Bereichen der Zellmembran synthetisiert.“
Tubby soll dabei helfen, diese Bereiche zu identifizieren. Das könnte ein erster kleiner Schritt zur Heilung von Erkrankungen der Netzhaut und des Hörvermögens werden.
* pm: Philipps-Universität Marburg