Quasiteilchen überwinden Grenzen. Das wurde am Forschungscampus Mitelhessen herausgefunden.
Ein Team des Forschungscampus Mittelhessen hat Quasiteilchen nachgewiesen, die sich in selbsterzeugten zweidimensionalen (2D-)Kristallen über zwei Lagen erstrecken. Das berichtet eine Forschergruppe um die Physiker Dr. Arash Rahimi-Iman von der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen und Prof. Dr. Martin Koch von der Philipps-Universität im Fachblatt „Scientific Reports“. Die Forschung zu Material, Molekül und Energie gehört zu den Schwerpunkten des Forschungscampus Mittelhessen (FCMH).
„Schichtkristalle aus der Familie der zweidimensionalen Halbleiter zählen zu den Nanomaterialien, die eine vielversprechende Grundlage für diverse Einsatzgebiete bieten“, erklärte Koch, der Physik an der Philipps-Universität lehrt. „Ob als hauchdünner Leitkanal in Transistoren oder aktives Material in der Photonik, die Materialklasse der Übergangsmetalldichalkogenide – vertreten unter anderem durch Wolframdisulfid und -diselenid – hat seit etwa einem Jahrzehnt enorm an Popularität in der internationalen Forschung gewonnen.“
Der federführende Autor Dr. Arash Rahimi-Iman aus Gießen ergänzte: „Sowohl die Abstrahlung als auch die Energieaufnahme von Heterostrukturen stehen weiterhin im Fokus des Interesses. In unseren Experimenten untersuchten wir eine künstlich gestapelte, hauchdünne Schichtstruktur aus Wolframdisulfid und Wolframdiselenid.“
Wie Koch ausführte, ist das Besondere an 2D-Materialien, dass sie als einzelne sogenannte „Monolagen“ unter dem Mikroskop oftmals mit bloßen Auge erkannt werden können. „Zudem lassen sie sich händisch zu anspruchsvollen und funktionalen Schichtsystemen stapeln“, legte der Marburger Hochschullehrer dar, der langjährige Erfahrung in der Heterostrukturforschung mitbringt.
Die Herstellung geeigneter 2D-Heterostrukturen – frei zusammensetzbarer Stapel aus unterschiedlichen zweidimensionalen Kristallen – brauche jedoch Training, Fingerspitzengefühl und passende Ausgangsmaterialien. Für die Experimente nutzte das Team eine Wolframdisulfid-Monolage aus Prof. Dr. Eui-Hyeok Yangs Arbeitsgruppe am Stevens Institute for Technology in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Auf diese Unterlage platzierte die Forschergruppe kontrolliert eine zweite Monolage aus natürlichem Wolframdiselenid.
Bestrahlt man Halbleiter mit Licht, entstehen Paare von angeregten Elektronen und Fehlstellen ohne Elektron, die zusammen je ein Quasiteilchen bilden. Dieses Teilchen nennen die Fachleute „Exziton“.
„Dank selbstgestapelter 2D-Kristalle konnten wir deutlich messen, dass sich die Materieanregungen auf zwei verschiedene Lagen des Materials ausdehnen“, berichtete Kochs Doktorand Mohammed Adel Aly, der zusammen mit den Projektmitarbeitern Manan Shah und Dr. Lorenz Maximilian Schneider die Experimente durchgeführt hat. „Auch konnten wir eine seitliche Abstrahlrichtung nachweisen.“
Leitautor Rahimi-Iman erläuterte, warum das wichtig ist: „Die Abstrahlcharakteristik ist von Bedeutung, wenn man zum Beispiel optische Resonanzen der 2D-Halbleiterheterostrukturen in photonischen Bauelementen gezielt und effektiv einsetzen möchte – also in hauchdünnen Solarzellen oder Laser.“
Rahimi-Iman leitet eine eigenständige Arbeitsgruppe am Physikalischen Institut der JLU Gießen. Er erzielte die Ergebnisse der aktuellen Studie als Teamleiter in der Arbeitsgruppe Halbleiterphotonik von Koch an der Philipps-Universität Marburg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Philipps-Universität Marburg, das Ägyptische Wissenschaftsministerium und die Nationale Wissenschaftsstiftung der USA (NSF) förderten die zugrundeliegende Forschungsarbeit finanziell.
Die Forschung zu Material, Molekül und Energie gehört zu den Schwerpunkten des Forschungscampus Mittelhessen (FCMH). Der FCMH ist eine hochschulübergreifende Einrichtung der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität in Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen, deren Aufgabe in der Stärkung der regionalen Verbundbildung in der Forschung, Nachwuchsförderung und Forschungsinfrastruktur liegt.
* pm: Philipps-Universität Marburg