Geburtstag 28. März: Große Gala mit Gästen zu „Marburg 800“

„Das wird heute sehr ärztelastig“ erklärte Thomas Koschwitz. Der Hörfunk-
und Fernsehmoderator führte am Montag (28. März) durch die Jubiläumsgala zu „Marburg 800“.
Eine illustre Gästeschar erzählte am Montagabend auf der Bühne im Erwin-Piscator-Haus (EPH) von eigenen Erlebnissen in Marburg. Hinzu kamen eingespielte Statements weiterer Prominenter sowie musikalische Darbietungen. Verfolgen konnte das Publikum das Ganze jedoch nur über einen Lifestream im Internet.
Wegen der Corona-Pandemie waren nur wenige Pressevertreter sowie die geladenen Gäste im großen Saal des EPH anwesend. Trotzdem kam dort schon bald Stimmung auf, nachdem Koschwitz die ersten Gesprächspartner auf der Bühne begrüße hatte. Mit Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und dem Sparkassen-Vorsitzenden Andreas Bartsch schloss der Moderator kurz nach 19 Uhr eine Wette ab, wie viel Geld während des Streamings bis 20.45 Uhr zugunsten der Marburger Tafel zusammenkommen würde.
Kämen weniger als 800 Euro zusammen, wollten beide zwei Tage lang bei der Tafel Waren an Bedürftige ausgeben. Übersteige die Summe jedoch den Betrag von 800 Euro, so würden sie zwei Stunden lang bei der Tafel arbeiten. In jedem Fall sei die Arbeit der Tafel gerade zu Zeiten der Krise unentbehrlich, erklärte deren Vorsitzende Rita Vaupel.
Das erste Video-Statement hatte Donatus Prinz und Landgraf von Hessen übermittelt. Darin erklärte er die Verbundenheit seiner Familie mit Marburg als Stadt ihrer Urahnin Elisabeth von Thüringen und ehemaliger Wohnsitz seiner Vorfahren wie Philipp dem Großmütigen. Seine Ehefrau setze sich auch deswegen für die Gewächshäuser des Botanischen gartens auf den Lahnbergen ein.
Mit dem BliStA-Direktor Claus Duncker tauschte sich Koschwitz über seine Erfahrungen in Marburg als „Stadt der Blinden“ aus. Seinen ersten Beitrag für den Hessischen Rundfunk (HR) habe er aus Interviews mit BliStA-Schülerinnen und Schülern erstellt, ohne de Leitung der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) zu fragen. Auch wenn ihm das viel Ärger eingebracht habe, sei das wohl richtig gewesen, erklärte ihm Duncker, da die damalige BliStA-Leitung gegen den Widerstand der Schülerschaft noch das Konzept eines abgeschlossenen Lern- und Wohnbereichs auf dem Schlagberg mit eigenem Laden ohne engeren Anschluss ans städtische Lben verfolgt habe.
Ein vorbereitetes Grußwort hatte Prof. Dr. Eckart von Hirschhausen auf Video bereit. Der Arzt und Kabarettist versprach, seine neue Honorarprofessur an der Philipps-Universität zu nutzen, um gegen den Klimawandel als „größte gesundheitliche Bedrohung“ zu kämpfen. Marburg fühle er sich wegen seiner offenen Haltung und der lebendigen Universität verbunden, erklärte er.
Spannend wurde es bei den weiteren Gesprächsrunden mit ehemaligen Marburgerinnen und Marburgern wie der einstigen Taz- und FR-Chefredakteurin Prol. Dr. Bascha Mika, der früheren Viva-Moderatorin Nkechi Madubuko und der Theologin Prof. Dr. Margot Käßmann. Sie berichteten von guten Erinnerungen ebenso wie vom fortwährenden Wandel der Vielfalt und Offenheit in der mittelhessischen Universitätsstadt sowie von männlichen Mitbewohnern in Wohngemeinschaften, die das Kochen und Putzen als Aufgabe der Frauen gesehen hätten. Heimlich habe sie im Standesamt im „Steinernen Haus“ geheiratet, berichtete Käßmann, weil die Engelische Kirche die Verbindung zweier Studierender noch sehr kritisch beäugt habe.
Die Netflix-Autorin Jantje Friese berichtete, sie sei durch ein Theaterstück über die Heilige Elisabeth zu ihrem Beruf gelangt. Damals in der Schule habe sie die Hauptrolle spielen wollen, aber nur die Sophie von Brabant darstellen dürfen. Die Kasematten und der Hexenturm am Schloss hätten mit dazu beigetragen, dass sie sich auch Gedanken über die „dunklen Seiten hinter den Fassaden“ gemacht habe, die sie nun in ihren Drehbüchern überaus erfolgreich thematisiert.
1989 verließ Michael Frowein seine Heimatstadt Marburg, um Berlin und die Welt kennenzulernen. Als „Chauffeur der Kanzlerin“ hat der Kabarettist und Theaterleiter dann Karriere gemacht. Nach Marburg kehrt er aber immer wieder gerne zurück.
Bei Prof. Dr. Stephan Becker entschuldigte sich Koschwitz dafür, dass er ihn häufig für den Hessischen Rundfunk schon morgens früh zu Corona befrage. Der Virologe erklärte ihm, dass er wegen des „Marburg-Virus“ zu diesem Thema gekommen ist. 1967 suchte eine heimtückische Viruserkrankung Marburg heim, dessen Erreger deswegen den Namen „Marburg-Virus“ erhielt.
Beim Institut füäür Virologie der PÖPhilipps-Universität habe die Auseinandersetzung mit gefährlichen Viren also eine lange Tradition. Begrüüündet hatte sie lange zuvor bereits der Arzt und Immunologe Prof. Dr. Emil von Behring. Füür seine Arbeit zu Impfstoffen gegen Tetanus und Diphterie erhielt der Marburger 1902 den ersten Nobelpreis für Medizin.
Nach einer Fernsehserie über einen Arzt begann Prof. Dr. Jürgen Schäfer in seiner Medizin-Vorlesung, seltene Krankheite und deren Behandlung zu erörtern. Entstanden ist daraus das Zentrum für seltene Krankheiten an der Philipps-Universität. Dort bemüht Schäfer sich, Kranke zu heilen, gab dem Publikum aber den einfachen Rat: „Bleiben Sie gesund!“
Die gebürtige Marburgerin Jaana Bohr erzählte vom „Thai-Boxen“, das sie mit großem Erfolg unter ihrem Mädchennamen Hein betrieben hat Heute ist sie Produzentin von Filmen über Sport. Gemeinsam mit der erfolgreichen Biathletin Verena Bentele gab sie dem Moderator Auskunft über ihren Spport.
Die mehrfache Paralympics-Teilnehmerin und Goldmedailliengewinnerin Bentele war später Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, bevor sie schließlich den Vorsitz des Sozialverbands VDK übernahm. In diesem amt muss sie nicht mehr nach Gehör die Scheibe treffen, sondern verantwortliche Politiker der Bundesregierung von ihren Forderungen nach mehr Geld für Behinderte berzeugen. „Marburg hat zuwenig Schnee“ erklärte die Wintersportlerin als Grund dafür, dass sie inzwischen in München lebt.die Kick-Box-Weltmeisterin und Filmproduzentin kommt zur Gala wie Kabarettist, Autor und Theaterleiter Michael Frowein in ihre Heimatstadt.
Der langjährige Gefängnisarzt und Schauspieler Joe Bausch erinnerte sich an seine Kneipe „Destille“ und einen Biefassdiebstahl vom Gelände der Marburger Brauerei am Pilgrimstein. Von dort habe er das Fass bis zu seiner Wohnung an der Haspelstraße gebracht. Zuletzt wohnte er an der Biegenstraße „nur wenige Meter von hier entfernt“, wie er im EPH berichtete.
Seine politische Haltung als gewaltfreier Linker musste er beweisen, als er „im weißen Kittel“ des Gefängnisarztes hungerstreikenden RAF-Gefangenen der zweiten Generation gegenüberstand. Dennoch vermisse er seine Arbeit immer noch, „Weil man als Arzt manche Patienten liebgewinnt und seinen beruf niemals ganz aufgibt“.
Als den Filialleiter eines Supermarkts an der Liebigstraße hatte Koschwitz vor vielen Jahren den heutigen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow kennengelernt. Als Gewerkschafter machte Ramelow dann Karriere zunächst in Marburg und später beim Aufbau der Arbeitnehmervertretungen nach der Wende in Thüringen. „IN Marburg habe ich viele Themen erarbeitet, die mich heute noch begleiten“, erklärte der Politiker.
„Die Auseinandersetzungen in Marburg haben mich geprägt“, erläuterte er. Seine Freundschaft mit einer KZ-Überlebenden ebenso wie die Auseinandersetzung mit studentischen Corps und deren Schüsse auf Arbeiter in Thüringen hätten ihn seit seiner Zeit in Marburg begleitet. In Marburg hatte der Legastheniker das Abitur nachgemacht und eine Familie gegrüündet, weshalb er häufig hierher kommt.
Deutliche Worte fand Ramelow für den Angriff auf die Ukraine. Er wünschte sich „ein Europa, wo jeder in Frieden nach den Vorstellungen leben kann, die er sich selber ausgewählt hat“. Der Krieg des russischen Präsidenten Vladimir Putin sei durch nichts zu rechtfertigen, erklärte Ramelow.
Nach gut zwei Stunden Unterhaltung mit eingespielten Musikvideos kam Koschwitz allmählich zum Ende der großen Geburtstagsfeier. Am Ende überstieg die gespendete Summe 1.800 Euro. Koschwitz verwies darauf, dass auch weiterhin Spenden an die Tafel möglich und erwünscht seien, denn mit dem Zustrom geflüchteter Menschen aus der Ukraine wüchsen schließelich auch die Anforderungen an die Tafel.
Der Lifestream wurde nicht nur zeitgleich aus dem EPH ins Internet übertragen, sondern auch aufgezeichnet. Füür einige Tage ist er noch online abrufbar unter www.marburg800.de. Alle Marburgerinnen und Marburger sowie alle, die einmal in der mittelhessischen Universitätsstadt gelebt haben, werden darin viele kurzweilige und heitere Reminiszenzen an legendäre Kneipen wie die „Cavete“ oder Tanzschulen und die Wohnanschriften in der Uferstraßße 10 oder der Biegenstraße 19 finden.

* Franz-josef Hanke