Zwei Jahre Longcovid: Zum Leben zu müde

Emily und ich spazieren durch den winterlichen Alten Botanischen Garten. Außer uns sind nur wenige Leute mit Hunden und Kinderwagen unterwegs.

Ich gehe langsam neben ihr und beobachte sie. Für ein 25-jähriges früheres Sport-As bewegt sie sich sehr langsam. Häufig muss sie stehenbleiben, um tief Luft zu holen.
Obwohl sie fast 1,80 Meter und damit 20 Zentimeter größer ist als ich, kann ich gut mit dir Schritt halten, was normalerweise nich so wäre. Sie ist nachdenklich, spricht leise; und es fällt ihr schwer, den Anfang zu finden.
akk: „Emily wie geht es dir jetzt wenn wir hier draußen sind? Ist so ein Spaziergang von 1- 2 Stunden schon wieder Normalität für dich? Oder fällt es dir schwer, rauszugehen?“
Emily: „Nein normal ist es überhaupt nicht, nichts ist mehr normal. Schon weil ich vorher gar nicht einschätzen kann, wie ich mich danach fühlen werde und was es mit mir macht.
An guten Tagen – so wie heute – ist es okay, rauszugehen. Ich nehme meine Jacke spüre meine Beine ohne Kribbeln oder Schmerzen. Sie haben genug Kraft, um ein Weilchen unterwegs zu sein. Die kalte Luft tut mir gut und brennt nicht mehr in meine Lungen. Ich habe keine Luftnot, keinen Schwindel und fühle mich auch danach hoffentlich nicht so müde, das ich den Rest des Tages nur noch auf der Couch liegen muss weil ich 2 Stunden im Park war.
An schlechteren Tagen ist das alles anders und wenn ich mich dann zwinge, rauszugehen, weil der Arzt sagt, Bewegung ist gut, dann sind 2 Stunden spazierengehen etwas, was mich für den Rest des Tages lahmlegt. Dann ist wieder Konzentration auf ein Buch oder eine Netflix Serie noch irgendeine andere Form von Bewegung wie einkaufen oder so möglich. Dann liege ich nur noch zu Hause auf der Couch und bin froh, wenn mir nichts wehtut und ich keine Atemnot habe, kein Pulsrasen – das tritt meistens bei Ruhe auf -. sondern einfach nur müde bin und schlafen kann.
Genau das ist Long COVID: Zu müde zu sein zum Leben!“
akk: „Du bist also unsicher über Deine Möglichkeiten und kannst nicht einen Tag planen, weil du gar nicht weißt, wie weit die Energie reicht?“
Emily: „Ganz genauso ist es. Ich lebe praktisch von 1 Minute auf die Andere ich kann keine Voraussage machen. Selbst Dinge auf die ich mich freue wie unser Gespräch oder ein Treffen mit Freundin in einem Café. Wenn ich da morgens zusage, könnte es passieren dass ich nachmittags wieder absage muss, weil ich keine Kraft habe, mich anzuziehen oder aus dem Bett aufzustehen.
Das ist furchtbar vor Allem auch für mein Umfeld. Die können sich auch auf nichts verlassen bei mir. Es ist fast unmöglich so Freundschaften zu pflegen. Wer kommt denn mit so viel Unsicherheit klar?
Es muss doch ein großes Maß an Verlässlichkeit geben. Wenn ich sage, ich bin dann und dann da und da dann erwartet man, dass ich auch da bin und nicht eine Viertelstunde Stunde vorher wieder absage, weil mir die Kraft fehlt. Genau so sieht es aber aus momentan. Das versteht kein gesunder Mensch und das macht auch keiner lange mit.
Mir feht auch das gemeinsame Weiterlernen für die Uni. Selbst wenn ich das an manchen Tagen Konzentrationsmäßig für 2 Stunden hin bekäme, kann ich mir ja meine Mitstudirenden nicht eine halbe Stunde vorher zu mir bestellen und sagen: Super heute bin ich fit kommt mal her zum lernen. So funktioniert deren Leben nicht.“
akk „und wie fühlst du dich persönlich dabei, wenn du Verabredungen absagen musst?“
Emily: „Naja wie soll ich mich fühlen? Ich fühle mich scheiße dabei! Fühle mich unzuverlässig und mies und einfach ein seelisches und körperliches Vrack zu sein. Zu nichts mehr fähig alleine. Eine gefangene im eigenen Körper. Nicht mal so Dinge die mir eigentlich Spaß machen. Mein Körper sagt einfach: Nein ich bin müde ich bewege mich nicht aus dem Bett, fertig!
Nicht mal, wenn das Haus brennen würde. Ich würde mich schuldig und habe ein voll schlechtes Gewissen meinen Freunden gegenüber und kann wirklich verstehen, wenn bald keiner mehr Lust hat, das mitzutragen. Deren Leben geht einfach weiter und meines steht still.“
Akk: „Wie sah Dein Leben vor der Corona Infektion im März 2020 aus?“
Emily: „ich habe gerade meine Master Arbeit begonnen in Medienwissenschaften. Ich hatte schon Zusage für ein Volontariat bei einem Fernsehsender In München. Für ein Jahr war schon alles geplant sogar eine Wohnung hatte ich schon.
Ich habe in der Handballmannschaft der Uni gespielt. Ich habe einen kleinen Hund, mit dem ich zweimal die Woche Agility Training gemacht habe. Ich hatte einen Flamenco Tanzkurs mit meinem Freund begonnen, weil wir das schon immer mal machen wollten. Ich hätte mir gut vorstellen können, nach dem Volontariat ein, zwei Jahre im Ausland zu arbeiten. Mit Ende 30 verheiratet zu sein und zwei Kinder zu haben. Ein ganz gewöhnliches Leben eben!
Und jetzt? Schaffe ich es nichtmal regelmäßig jeden Morgen mit meinem Hund eine halbe Stunde rauszugehen. Das macht mein Papa vor der Arbeit, sonst hätte er ins Tierheim gemusst.Wie sollte ich mich da um ein Baby kümmern? An ganz schlimmen Tagen kann ich mich nicht mal um mich selbst kümmern, Da muss meine Mutter mich mehr oder minder aus dem Bett zerren, waschen anziehen und mich zu jedem Bissen Frühstück überreden weil ich einfach sonst zu müde wäre zum Essen.
Wenn ich nicht bei meinen Eltern wohnen könnte und meine Mutter sich so kümmern würde, wäre ich wahrscheinlich jetzt mit Mitte 20 in einem Pflegeheim. Es ginge gar nicht anders.“
Wir bleiben an einem kleinen verkrüppelten Baum stehen von dem mehrere abgestorbene Äste in den Himmel ragen. Emily hat Tränen in den Augen.
„Genau wie dieser Baum fühle ich mich! Eigentlich ein gut gewachsener Stamm, hatte gute Anlagen zum wachsen und jetzt fühle ich mich genauso tot und verkrüppelt wie der Baum. Ich warte nur darauf, dass irgendwann die Gärtnerei Gehilfen kommen und ihn mit der Wurzel ausreißen und verbrennen, weil er ja zu nichts mehr taugt. Er nimmt nur Jüngeren den Platz weg und das Licht die dort sehr gut wachsen könnten. Aber selbst um diese Entscheidung zu treffen fehlt mir die Kraft und die Energie. Ich bin zum Leben zu müde und zu müde, um dem ein Ende zu setzen.“
Emily hatte im März 2020 in der ersten Welle eine leichte Covid19 Infektion mit der Wild Variante. Üblichen Beschwerden wie Gliederschmerzen, Geruchs – und Geschmacksverlust, Kopfschmerzen, starke Husten, Atemnot und ein bleiernes Gefühl auf der Lunge. Husten und Abgeschlagenheit sowie der Geschmacksverlust hielten ungefähr sechs Wochen an.
Da das in die vorlesungsfreie Zeit fiel, und wegen des ersten Lockdowns an der Uni sowieso Alles ungewiss war, hatte sie sich damals keine große Sorgen gemacht. Dann ging es Emily eine Weile gut. Über den Sommer hinweg hat sie nichts gemerkt.
Im Herbst zum Beginn des Wintersemesters kamen dann die Erkältungssymptome zurück mit schwerere Atemnot zu schneller Pulsschlag, schneller Erschöpftbarkeit, Konzentrationsproblemen, Nervenschmerzen und Vergesslichkeit. Diese Symptome sind bis heute unverändert geblieben.
Die funktionalen Untersuchungen beim Arzt haben keine erkennbaren Schäden an Herz oder Lunge ergeben. Auch alle anderen Befunde für körperliche Ursachen dieser Symptome waren negativ. Langsam dämmerte es Emily und ihrer Familie, dass das Long COVID sein musste.
Sie musste ihren Aufenthalt in London
 abbrechen und schaffte es gerade noch so nach Hause. Vielleicht war es auch schon eine zweite Infektion mit der Delta-Variante, die wahrscheinlich ja schon seit August0 in Großbritannien nachgewiesen worden war. Man weiß es eben nicht. Jedenfalls ist ihr Leben seitdem nicht mehr wie vorher.           Gespannt verfolgt ihre Familie die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten für Long COVID die inzwischen in Studien getestet werden. Als Studentin ist es tatsächlich sogar schwierig einen Reha Aufenthalt in einer Klinik zu bekommen weil es keine Arbeitnehmer Reha ist, und für eine Akutaufnahme wegen Longcovid zur damaligen Zeit bei den Krankenkassen einfach noch gar keine Überweisungspläne gab. Einfach einen verwaltungstechnisches Problem, ob für eine Studentin die Krankenkasse oder bereits die Rentenversicherung oder wer auch immer zuständig ist oder vielleicht niemand?
Außerdem waren auch damals die wenigen, spezialisierten Reha Plätze, die es gab, völlig überlaufen weil es plötzlich so viele Betroffene von Long COVID gab. Da die niedergelassenen Ärzte keine Behandlungsstrategien hatten und sehr froh waren Personen die nicht arbeitsfähig waren erst mal in eine Klinik überweisen zu können. Schlicht, weil ihnen die Möglichkeit fehlte, sie wegen körperlicher Symptome krank zu schreiben obwohl sie ja objektiv betrachtet definitiv nicht arbeitsfähig waren.                                             Eine psychosomatische Diagnose erfasste die Gesamtsituation natürlich auch nicht und wurde oft von den Betroffenen komplett abgelehnt. Longcovid ist eben kein Burnout, keine Depression und keine Panikattacke. Nur weil man keine Luft bekommt, Herzrasen hat, schnell atmet und dauernd müde ist. Sich darüber auch noch mit dem medizinischen Personal auseinandersetzen zu müssen war wirklich Etwas, was vielen Betroffenen ihr bisschen Energie raubt und wofür sie keinen Nerv hatten.
Emily hat zu solchen Arztgesprächen immer ihre Mutter mitgenommen, weil ihr schon oft die Kraft und die Konzentration fehlte ihre Symptome eindringlich und klar genug zu schildern und damit nicht auf die Psycho-Schiene abgetan zu werden. Wenn sie jetzt zu Hause in ihrem Zimmer sitzt, ist der Kontakt zu den Longcovid-Selbsthilfe Gruppen im Internet der einzige Lichtblick in ihrem Leben. Dort wird sie ernst genommen. Man versteht Ihre Lage, weil Alle dort jedem Tag dieselben Herausforderungen zu meistern haben. Sie findet Gleichgesinnte; und sie hört viele Geschichten von Personen, die eine Besserung erfahren haben. Man kann sich über die neuesten Behandlungsmethoden und deren Erfolge austauschen.
Den Rest ihres Umfelds hat sie ziemlich weit von sich weggeschoben, weil dort doch nach eineinhalb Jahren Ungeduld und Unverständnis vorherrschen. Die einfache Frage, wie es ihr geht, war für sie schon eine Anklage, wenn Sie nicht antworten konnte, dass es besser ist oder es irgendeine Aussicht auf Besserung geben könnte. Schnell wandten sich die Menschen dann wieder von ihr ab.
Vor allem hatten viele Studierende ihre eigenen – ganz anderen – Probleme mit dem Coronavirus und den notwendigen Maßnahmen. Da waren sie selber schon gestresst genug und wollten nichts hören von jemandem, der sich noch schlechter fühlen muss als sie selbst. Eigene Probleme führen und nicht zwangsläufig immer zu größeren Mitgefühl. Sie können auch das Gegenteil bewirken.
Im Februar geht Emily in die Sonnenblick-Klinik zur Longcovid-Reha. Sie hat relativ früh eine sehr spezialisierte Behandlung entwickelt. Dort wird Emily diese neuartige Sauerstofftherapie ausprobieren.
Außerdem hat sie in Frankfurt einen Pneumologen gefunden, der sich auf Longcovid spezialisiert hat. Wie ihre Zukunft aussehen wird, kann sie aber noch nicht sagen. Darum gibt es auch keinen versöhnlichen Abschluss und einen positiven Ausblick auf die Zukunft.
Longcovid und andere langanhaltende Folgeschäden einer Corona-Infektion werden bei 25 bis30 Prozent der Erkrankten dokumentiert. Das wird hundertausende von Menschen und Millionen ihrer Angehörigen betreffen. Damit trifft es unsere gesamte Gesellschaft unser Gesundheitssystem und uns Alle.
Was bei den riesigen Infektionszahlen durch Omikron bei den Ungeimpften noch nachkommt, mag ich mir gar nicht ausmalen. Geschweige denn, was es für Kinder bedeutet, im Grundschulalter oder in der Pubertät auf Monate oder Jahre hinaus in ihrer natürlichen Entwicklung und Entfaltung gebremst zu werden oder – so wie Emily – plötzlich an Long COVID zu erkranken und ihr gewohntes Leben endet abrupt. Gerne hätte sie sich impfen lassen, wenn damals schon Impfstoff verfügbar gewesen wäre. Denn eine Impfung ist derzeit das einzige zugelassene und medizinisch wirksame Mittel, mit dem Longcovid vermieden werden kann. Da kommt etwas völlig Neues auf uns als Gesellschaft zu, dessen Ausmaß an persönlichem Leid und vernichteten Existenzen niemand ermessen kann.

* Anna Katharina Kelzenberg

Ein Kommentar zu “Zwei Jahre Longcovid: Zum Leben zu müde

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