HLTM für Uraufführung: Kleist-Förderpreis geht an Amir Gudarzi

Der 27. „Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker“ geht 2022 an Amir Gudarzi für sein Stück „Wonderwomb“. Uraufgeführt wird es im Herbst in Marburg.
Das Kleist Forum Frankfurt (Oder) und die Stadt Frankfurt (Oder) haben den Preisträger des „Kleist-Förderpreises für junge Dramatikerinnen und Dramatiker“ 2022 bekannt gegeben. In diesem Jahr geht die renommierte Auszeichnung an Amir Gudarzi für sein Stück „Wonderwomb“. Der Kleist-Förderpreis ist mit einem Preisgeld von 7.500 Euro dotiert und mit einer Uraufführungsgarantie verbunden, die in diesem Jahr vom Hessischen Landestheater Marburg (HLTM) übernommen wird.
Seit 1996 vergeben die Kleist-Stadt Frankfurt (Oder), das Kleist Forum und die Dramaturgische Gesellschaft jährlich den „Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker“. Anwärterinnen und Anwärter, die bei Einsendeschluss nicht älter als 35 Jahre alt sind, können sich mit noch nicht uraufgeführten Theatertexten bewerben.
Der mit 7.500 Euro dotierte Preis gilt als Wegbereiter vieler – mittlerweile international renommierter – Autorinnen und Autoren. Neben dem Preisgeld erfahren die Preisträgerinnen und Preisträger vor allem durch die Uraufführungsgarantie des ausgezeichneten Stücks eine größtmögliche Förderung.
Die offizielle Preisverleihung mit der Laudatio von Andreas Sauter findet zur Eröffnung der diesjährigen Kleist-Festtage am
(6. Oktober) statt. Das prämierte Stück „Wonderwomb“ wird an diesem Abend erstmals in Frankfurt (Oder) gezeigt. Die Uraufführung produziert das Hessische Landestheater Marburg (HLTM) in Zusammenarbeit mit dem Kleist Forum. In Marburg wird die Uraufführung am
(17. September) zu sehen sein. Regie führt die HLTM-Intendantin Eva Lange.
In der Jury-Begründung heißt es: „Wonderwomb“ von Amir Gudarzi zeichnet mit großer sprachlicher Genauigkeit, einer Vielfalt an Klängen und einer komplexen Formenfülle ein Panorama über die Welt und formuliert die Einladung zur Auseinandersetzung. Das Kleine steht immer wieder neben dem ganz Großen. Die Erzählung folgt einer Verknüpfungs-Dramaturgie, baut ungeheure Zusammenhänge rasant auf, bricht diese ab und fokussiert Konkretes.“
Gudarzi gelinge es in seinem Stück, durch Zeiten zu reisen, persönlich Erlebtes mit dem Globalen in verschiedensten medialen Räumen zu verbinden. Über allem immer wieder das sprechende Erdöl als Motor des Kapitalismus, als allseits Umgebendes. Er beschreibe einen „Friedhof im Osten, der verbunden ist mit dem Westen, unterwegs im Meer: Das Erdöl, ein sprechender Chor der toten Lebewesen. An der Börse wird um eben dieses Erdöl spekuliert, ein Öltanker wird angegriffen und der Preis steigt. Eine schwarze Einheit, die die Wirtschaft ankurbelt und alles wieder in eine Einheit zurückzwingen wird“. Er beschreibe den Grund, warum Länder und Menschen überfallen, Kriege und Kämpfe geführt werden.
„Wir Menschen sind stets umgeben von diesen Toten, vom Öl, gebettet auf Matratzen, kaugummikauend auf asphaltgepflasterten Straßen, um am Ende als Tote wieder zu Erdöl zu werden, die Lebenden zu befeuern. Irgendwo wird immer nach Öl gesucht, in das Herz der Erde gebohrt, ebenso wie die Mutter im Irak aufgebohrt und deren Begräbnis von der weit entfernten Tochter live via Internet verfolgt wird. Die Ausbeutung fordert ihren Tribut, wenn der Meeresspiegel steigt, die Strände zu heiß und die Wolkenkratzer unbewohnt bleiben werden.“
Gudarzi finde „in „Wonderwomb“ einen Ton, der geprägt ist von der Gleichzeitigkeit von Hier und Dort, Herrschaft und Unterdrückung, Ausbeutung und Nutzen, aber vor allem: Leben und Tod. Es ist ein komplexes Oratorium: „Figuren und Personen und Stimmen und Erinnerungen und Erscheinungen und Phantome und Schatten und Zitate und Worte und Sätze“, wütend, melancholisch, feinsinnig, poetisch, stolpernd und überbordend. Unglaubliche Flächen von Begebenheiten werden gleichzeitig jongliert, bäumen sich auf, tanzen miteinander und lassen diesen Weltzusammenhangsversuch als große und lohnenswerte Herausforderung für das Theater entstehen.“
Der Preisträger Gudarzi wurde 1986 in Teheran geboren. Er graduierte an der damals einzigen Theaterschule im Iran und absolvierte ein Studium in Szenischem Schreiben in Teheran. Seit 2009 lebt er in Wien, wo er ein Studium in Theater-, Film- und Medienwissenschaft abschloss.
2017 gewann Gudarzi den exil-DramatikerInnenpreis für sein Stück „Zwischen uns und denen liegt …“. 2018 wurden sein Text „Arash // Heimkehrer“ am Theater Drachengasse in Wien sowie seine Performance „The Knowledge Tree“ in Jerusalem gezeigt. „Die Burg der Assassinen“ wurde 2019 zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen.
2020 war „Geleemann“ am WERK X in Wien zu sehen sowie „Who cut the cake“ am Royal Court Theatre in London als Teil des „Living Newspaper Projekts“. Sein Stück „Wonderwomb“ war für den Retzhofer Dramapreis 2021 nominiert, zudem erhielt es eine „spezielle Erwähnung“ durch die Jury der Autor:innentheatertage 2022 und wird bei dem Festival in einer szenischen Einrichtung präsentiert.
2022 wird ein neues Projekt mit dem Titel „Am Anfang war die Waffe“ in Wien zu sehen sein. Gudarzi wurde 2021 mit dem Förderungspreis der Stadt Wien ausgezeichnet und erhielt zahlreiche Dramatik- und Literaturstipendien wie das DramatikerInnenstipendium der österreichischen Bundesregierung sowie das Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB). Gudarzi schreibt an seinem Debütroman, der 2023 bei dtv erscheinen wird.
Zum 27. „Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker“ wurden 124 deutschsprachige Stücke von 124 Autorinnen und Autoren aus fünf Ländern weltweit eingereicht. Das Durchschnittsalter betrug 28,7 Jahre. Trotz der Pandemie ist die Anzahl der Einsendungen leicht gestiegen.

* pm: Hessisches Landestheater Marburg

Kommentare sind abgeschaltet.