Integrationshilfe: Ehrenbrief des Landes Hessen für Alexander Pevzner

Den Ehrenbrief des Landes Hessen hat Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies an Alexander Pevzner übergeben. Damit werden sein Einsatz für den Umbau der Synagoge und sein Wirken in der Integrationsarbeit gewürdigt.
In seiner Rolle beim Umbau der Synagoge an der Liebigstraße werde Pevzner für immer unvergessen bleiben, sagte Spies in der Feierstunde zu Ehren des stellvertretenden Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Marburg in der Synagoge: „Diese Räume tragen Ihre Spuren, Ihre Handschrift, Ihre Erinnerung.“ Pevzners ausgeprägtes und außergewöhnliches Engagement für die Synagoge und damit auch für die Universitätsstadt Marburg sei einer Auszeichnung würdig, erklärte Spies.
Dass sich der größte Schatz, den man besitzt, im eigenen Haus befindet, in der eigenen Stadt, der eigenen Gemeinde, diese Erfahrung habe man auch in der Jüdischen Gemeinde gemacht, machte Monika Bunk deutlich. Sie erzählte die Geschichte von Rabbi Eisik, der auszog, um einen goldenen Schatz zu suchen, von dem er geträumt hatte, um ihn dann schließlich in seinem eigenen Haus zu finden.
Ein goldener Schatz sei es nicht gewesen, den Pevzner mitgebracht habe, aber „einen goldenen Verstand und goldene Hände, die unermüdlich gearbeitet haben“. Die Jüdische Gemeinde freue sich sehr, dass ihr stellvertretender Vorsitzender an dem Ort ausgezeichnet werde, zu dessen Gestaltung er so maßgeblich mit beigetragen habe.
Pevzner wurde 1932 im ukrainischen Charkow geboren. Erst mit 60 Jahren reiste er mit seiner Familie nach Deutschland aus, um hier noch einmal ein neues Leben zu beginnen. Das tat er aus der Überzeugung heraus, dass Deutschland „seine nationalsozialistische Vergangenheit bearbeitet und verarbeitet“ habe, betonte Oberbürgermeister Spies.
Allein dafür gebühre ihm Dank. Die Familie Pevzner war damals die erste Familie, die mit dem Status der sogenannten „Kontingentflüchtlinge“ im Landkreis Marburg-Biedenkopf ankam. Danach folgten weitere Zuwanderer.
„Und sie waren hier völlig verloren“, berichtete Pevzner in seiner Dankesrede. Um den Menschen, die meist kein Wort Deutsch sprachen, zu helfen, setzte er sich ein. Er hatte ein offenes Ohr, er dolmetschte, er half bei der Wohnungssuche.
Sein Engagement in der Sozial- und Integrationsarbeit sei ein zentraler Aufgabenbereich gewesen, führte der Oberbürgermeister weiter aus. „Für viele im Landkreis waren Sie der erste Ansprechpartner.“
Andere Zuwanderer mit den eigenen Erfahrungen an die Hand zu nehmen, sei enorm wichtig und helfe den Menschen, anzukommen, betonte Spies. „Wir würden uns wünschen, dass das viel öfter gelänge.“
Auch Ehrenbürger Amnon Orbach würdigte den Einsatz von Pevzner. Er sei einer seiner besten Freunde, erklärte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Obwohl sie beide aus ganz verschiedenen geografischen Ecken gekommen seien und bei ihrem Kennenlernen beide noch kein Deutsch sprachen, habe es eine Verbundenheit gegeben, die gewachsen sei und sich vergrößert habe.
„Du warst der Chef der Sozialarbeit unserer Gemeinde“, sagte Orbach zu Pevzner. Auch beim Umbau der Synagoge, in der kein Quadratzentimeter so hatte bleiben können, wie er anfangs war, habe Pevzner Mut und Verantwortlichkeit bewiesen.
Das bestätigte auch Bauamtsleiter Jürgen Rausch in seiner Ansprache. „Uns verbindet der Bau dieser wunderbaren Synagoge, für dessen Umsetzung Sie sich in herausragender Weise eingesetzt haben“, sagte Rausch.
Es sei das schönste Projekt in den 25 Jahren seiner Tätigkeit für die Stadt Marburg. Nicht nur deshalb sei es herausragend, weil es gut geworden sei, sondern auch und vor allem wegen der guten Zusammenarbeit, und weil es so viel Spaß gemacht habe.
Pevzner habe für den Umbau mit einer Truppe Handwerker parat gestanden. Sein Engagement habe die Stadt ermutigt, das Projekt überhaupt zu starten.
„Sie haben uns Sicherheit und Zuversicht gegeben“, lobte der Baudirektor den Geehrten. Pevzner sei ein erfahrener, besonnener und tatkräftiger Ansprechpartner gewesen, der sich durch nichts habe aus der Ruhe bringen lassen.
Die Tatsache, dass die Baukosten für die Synagoge am Ende nur 750.000 Euro betrugen, obwohl sie zuvor auf über eine Million geschätzt worden waren, mache deutlich, was Pevzner geleistet habe. Sein Mut und seine Kraft verdienten höchsten Respekt und Anerkennung.
Auch Nachbarn und Gemeindemitglieder dankten dem 85-jährigen Mitbürger dafür, dass er immer ein offenes Ohr für sie gehabt und sie tatkräftig unterstützt habe. Enkelin Alexandra Pevzner stellte in ihrem Grußwort die Tugend in den Vordergrund, die ihr Großvater sie gelehrt habe: Vor allem hob sie den Willen hervor, einen Weg zu gehen, auch wenn keine Straße und keine Hoffnung zu sehen sind.
„Mein Opa ist ein Sturkopf“, erklärte sie schmunzelnd. Mit seinem stählernen Willen – nicht umsonst habe er Jahrzehnte in der Stahlindustrie gearbeitet –
habe er viele Wände in diesem Gebäude und in seinem Leben durchstoßen. Mit diesem Willen habe er sich nun auch nach einem schweren Sturz im Februar, nach dem er zunächst komplett gelähmt war, wieder zurückgekämpft.
Dass die Jüdische Gemeinde weiter auf ihn zählt, machte Orbach klar: „Es gibt noch viele Projekte, die auf Dich warten.“ Pevzner versprach, dass er versuche, wieder auf die Beine zu kommen.
In seiner Dankesrede erklärte er, dass er nichts von dem, was er geleistet habe, allein habe leisten können. Er dankte allen Beteiligten für ihre Unterstützung beim Umbau der Synagoge wie auch in der Sozial- und Integrationsarbeit. Ein Dank ging auch an den Freund Orbach für das „wundervolle Miteinander“ im Vorstand der Jüdischen Gemeinde.
„Immigration ist eine riesige Herausforderung“, erklärte Pevzner. „Man lässt alles hinter sich – die Kultur, die Sprache, das Land, das Umfeld, den Status, den man hatte.“ Im Rahmen seiner Möglichkeiten habe er versucht, anderen Immigranten bei ihrem Start in Deutschland zu helfen. Er und seine Enkelin Alexandra dankten auch Deutschland als dem Land, das sie offen empfangen habe und das zu einem Zuhause geworden sei.
Pevzner wurde am 15. Juni 1932 in Charkow in der Ukraine in eine jüdische Familie geboren. Sein Vater war Ingenieur, seine Mutter Übersetzerin für Englisch-Russisch.
1941 wurde die Familie gemeinsam mit dem Betrieb, an dem der Vater als leitender Ingenieur tätig war, nach Nischni Tagil im Ural Gebiet evakuiert. Dort absolvierte Pevzner eine weiterführende Schule. 1949 begann er ein Studium an der Staatlichen Technischen Universität des Uralgebiets in Jekaterinburg.
1950 wechselte er an die Nationale Technische Universität „Polytechnisches Institut Charkow“, wo er sein Studium 1954 als Diplom-Ingenieur abschloss. Seine erste Berufserfahrung sammelte Pevzner am Projektierungsinstitut Orgchermet in Charkow. Von 1956 bis zu seiner Ausreise nach Deutschland 1992 arbeitete er am Projektierungsinstitut Giprostahl.
Durch eine – in den 80er Jahren begonnene – Kooperation seines Arbeitgebers mit tschechoslowakischen und ostdeutschen Metallurgiewerken lernte er Deutschland auf Dienstreisen kennen. Dabei kam Pevzner zu der Überzeugung, dass „Deutschland die nationalsozialistische Vergangenheit verarbeitet“ und die Entwicklung zu einer friedlichen Zukunft eingeschlagen habe. Das motivierte ihn später dazu, seine gesamte Großfamilie von der Umsiedlung zu überzeugen.
Bereits kurze Zeit nach seiner Umsiedlung nach Deutschland und in den Landkreis Marburg-Biedenkopf engagierte sich Pevzner ehrenamtlich für die Jüdische Gemeinde Marburg. Bei den ersten Vorstandswahlen nach Gründung des Vereins im Jahr 1998 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Diese Funktion übt er seitdem ununterbrochen bis zum heutigen Tag aus.

* pm: Stadt Marburg

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