Berauscht im CERN: Erstmals Isotopieverschiebung gemessen

Ein CERN-Team aus Chemie und Physik misst erstmals die Isotopieverschiebung bei Radiummonofluorid. Die Federführung der Gruppe hat auch ein Forscher aus Marburg.
Die Physik erhält Verstärkung: Die Energie von Elektronen ändert sich messbar, wenn der Atomkern eines Moleküls vergrößert oder verkleinert wird. Dieser winzige Effekt hat eine internationale Forschungsgruppe am europäischen Kernforschungszentrum „CERN“ in Genf nun in experimentellen Beobachtungen an kurzlebigen Radiummonofluoridmolekülen (RaF) nachgewiesen. Das Team mit Marburger Beteiligung berichtet über seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“.
Will man mehr über den Atomkern und die Elementarteilchen herausfinden, aus denen er besteht, so bieten Messungen an Molekülen ein ideales Szenario. „Wir machen uns zunutze, dass manche physikalischen Effekte in Molekülen um ein Vielfaches verstärkt sein können“, erklärte der Marburger Chemietheoretiker Prof. Dr. Robert Berger als einer der Leitautoren der Studie. „Der Verstärkereffekt macht sich besonders bei Molekülen bemerkbar, die sehr schwere, radioaktive Bestandteile enthalten.“
Wenn sich die Zahl der Neutronen im Atomkern verändert – bei sogenannten „Isotopen“ -, kommt es zu kleinen Energiedifferenzen der Elektronen in der Atomhülle; die Fachwelt spricht dabei von einer „Isotopieverschiebung“.
„Bislang war wenig über Isotopieverschiebungen in Molekülen bekannt“, berichtete Berger. „Experimentell erworbene Kenntnisse über kurzlebige radioaktive Moleküle sind rar, so dass quantenchemische Berechnungen oft die einzige Informationsquelle bilden“, führte er aus. „Wenn es aber gelingt, sehr genau hinzuschauen, kann man messen, wie sich unterschiedlich große Isotopenkerne auf die Wechselwirkungen mit den Elektronen in Molekülen auswirken.“
Moleküle mit kurzlebigen radioaktiven Atomen kommen in der Natur nicht vor; sie müssen daher künstlich in spezialisierten Einrichtungen wie dem Isotopentrenner ISOLDE am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf hergestellt werden.
Berger und eine vielköpfige Forschungsgruppe aus aller Welt berichten nun erstmals, wie sich die Energieniveaus in einem Radiumfluoridmolekül verschieben, wenn sich die Neutronenzahl im Radiumkern ändert. Dazu baute das Team am CERN ausgeklügelte Versuche auf, um schrittweise Radiummonofluorid herzustellen und dessen Eigenschaften mittels Laser spektroskopisch zu studieren. „Aufgrund der speziellen elektronischen Situation in RaF kürzen sich die üblichen, eher langweiligen Masseneffekte quasi heraus“, legt Berger dar. Daher könne man den viel kleineren Effekt messen, den die Änderung des Kernvolumens hervorruft.
„Die Ergebnisse dieser Experimente stimmen hervorragend mit unseren theoretischen Berechnungen überein“, berichtete Konstantin Gaul aus Bergers Arbeitsgruppe. Insbesondere zeigt die gemessene Isotopieverschiebung in Radiummonofluorid, dass das Molekül sehr empfindlich auf Änderungen der Kerngröße reagiert.
„Kurzlebige Moleküle wie radioaktives Radiummonofluorid bieten demnach eine hervorragende Möglichkeit, um die Kernstruktur zu studieren“, hob Gaul hervor. „Hier lernt man mit Hilfe der Molekülspektroskopie etwas über Kernphysik.“
Berger ergänzte: „Wir haben bereits früher theoretisch gezeigt, dass RaF sensitiv für symmetrieverletzende Kerneigenschaften wie zum Beispiel das Anapolmoment ist“Er erläuterte die weitere Vorgehensweise: „Mit weiter verfeinerten Experimenten kann man auf die Messung dieser faszinierenden Kerneigenschaften zielen.“
Berger leitet eine Arbeitsgruppe für Theoretische Chemie an der Philipps-Universität. An der Studie beteiligten sich zahlreiche weitere Arbeitsgruppen aus der Bundesrepublik, Belgien, China, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Russland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).
Die Federführung lag bei Berger sowie bei den amerikanischen Physikern Prof. Dr. Ronald Fernando Garcia Ruiz und dessen Mitarbeiter Silviu-Marian Udrescu vom vom „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) , das Bundesforschungsministerium sowie zahlreiche weitere Förderer haben die zugrundeliegende Forschungsarbeit unterstützt.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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