Kratzer an Demokratie: Prominente zu USA nach Trump

Prominente Stimmen beleuchten in einem Sonderheft der Zeitschrift „Amerikastudien“ den Zustand der US-Demokratie nach Donald Trump. Die Probleme seien noch nicht vorbei.
Das Sonderheft „Common Grounds? American Democracy after Trump“ der Zeitschrift „Amerikastudien / American Studies“ unternimmt eine vielstimmige transatlantische Diagnose über den Zustand der amerikanischen Demokratie im Frühjahr 2021. Wenige Wochen nach Amtsantritt des neuen Präsidenten Joe Biden versuchen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Fächern und Bereichen an einer Antwort auf eine historische Epoche, die durch Populismus, Verschwörungsideologien, „alternative Fakten“ und soziale Medien den politischen Stil nachhaltig verändert hat.
Die 44 Kurzbeiträge aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) in dem 300 Seiten starken Heft zeigen deutlich, dass die gegenwärtige Krise weder mit Trump begann noch mit seiner Abwahl als beendet gelten darf, denn angesichts der 74 Millionen Wählerinnen und Wähler, die ihm und seiner Politik auch im November 2020 noch die Treue hielten, sind die Spannungen und Risse im gesellschaftlichen Grundgerüst der USA ganz offensichtlich kein vorübergehendes Randphänomen. Im Gegenteil ist es vor allem das historische Erbe der Unterdrückung und Ungleichheit, das die USA als Kolonialmacht auf „gestohlenem Land“ und im Schatten von Sklaverei und Rassismus bis heute prägt, wie die preisgekrönten Schriftstellerinnen Diane Glancy und Melba Joyce Boyd in ihren Auftaktbeiträgen betonen. Die titelgebende Formel des „common ground“ als einer gemeinsamen Basis wird daher vielfach in Frage gestellt und neu verhandelt.
Kann eine Nation, die derart durch soziale und ökonomische Ungleichheit geprägt und in scheinbar unversöhnliche politische Lager gespalten ist, eine gemeinsame Grundlage finden? Dazu müssten sich die politischen Verhältnisse deutlich ändern, wie der amerikanische Soziologe Craig Calhoun im Sonderheft formuliert: „We cannot have the solidarity we need without drastically reducing inequality, for example, or without increasing employment and improving working conditions. Without ending racist police violence. Without universal healthcare and greater educational opportunity.“
In der Ausgabe kommen weitere prominente Stimmen zu Wort wie etwa Diane Glancy, Siri Hustvedt, Saskia Sassen, Melba Boyd, Donald Pease, Elisabeth Bronfen oder Richard Sennett, die unter anderem Rassismus, die Rolle der Bürgerkriegsdenkmäler, die „predatory economy“, das Erbe des Feminismus, den versuchten Coup am 6. Januar oder die Klimakrise in den Blick nehmen. Über das Problem der Bildungsgerechtigkeit schreiben Matt Brim oder kihana miraya ross. Die Rolle der sozialen Medien beleuchtet Christoph Raetzsch.
Das Sonderheft wurde im Auftrag des Editorial Board von den beiden Amerikanisten Cedric Essi und Heike Paul sowie dem Politikwissenschaftler Boris Vormann kuratiert. Die Beiträge eignen sich hervorragend für den Einsatz in Seminarräumen und Schulen.
„Das Sonderheft kommt zur richtigen Zeit“, erklärte Herausgeberin Birgit Däwes. „Die Herausforderungen der amerikanischen Gegenwart lassen sich ganz offensichtlich nicht auf Trump und den Sturm auf das Kapitol im Januar reduzieren. Die Covid-19-Pandemie und die Klimakrise zeigen zudem deutlich, dass ein nationaler Weg nicht weiterführt. Wir freuen uns sehr, dass wir neben dem transatlantischen Dialog mit diesem Open-Access-Heft ein Forum für größere Zusammenhänge und durchaus auch kontroversen Austausch zur Frage der common grounds bieten können.“
Herausgeberin Carmen Birkle ergänzte: „Gerade die Vielstimmigkeit des Sonderheftes macht die Komplexität der gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA deutlich und unterstreicht die Dringlichkeit eines internationalen Austausches über Rassismus, Diskriminierung, Radikalisierung von Sprache und das Erstarken eines zunehmend polarisierenden Populismus. In Abwandlung eines Romantitels des U.S.-amerikanischen Autors Sinclair Lewis, It Can’t Happen Here (1935), führt uns das Heft vor Augen, welche Phänomene die aktuellen gesellschaftlichen Probleme verschärfen und einen Trumpismus fördern, der nicht auf die USA beschränkt ist.“
Birkle von der Philipps-Universität und Däwes von der Europa-Universität Flensburg geben als „General Editors“ die Zeitschrift „Amerikastudien / American Studies“ im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien heraus. Die Zeitschrift ist in Kooperation mit dem Universitätsverlag Winter in Heidelberg seit 2020 im Open-Access-Format öffentlich und frei unter amst.winter-verlag.de verfügbar.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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