Erstmals hat die Stadt Marburg ihren Neujahrsempfang digital durchgeführt. Das neue Corona-Format kam bei den Gästen im Internet aber gut an.
Ein vielstimmiger Chor, ein Gast aus Berlin, eine Latin-Band und Grundschulkinder aus Marburg haben gemeinsam mit Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies den Neujahrsempfang 2021 der Universitätsstadt Marburg gestaltet. Eine so bunte Mischung an Akteurinnen und akteuren im Erwin-Piscator-Haus (EPH) konnte jedoch angesichts der Corona-Pandemie nur digital zusammenkommen.
Auch das Publikum war beim Neujahrsempfang 2021 am Samstag (16. Januar) ausschließlich online zugegen. „Persönlich“ mit OB Spies auftreten durfte nur ein kleiner Roboter.
„In diesem Moment – vor dem leeren Saal – vermisse ich Sie alle besonders“, sagte Spies zur Begrüßung. „Denn Politik lebt vom Austausch mit den Menschen in unserer Stadt.“
Digitale Treffen seien eben kein Ersatz für Mannschaftssport, für gemeinsames Tanzen oder für echte Feiern. Auf der anderen Seite ist die Gästeliste zum ersten Mal nach oben offen und unbegrenzt, alle können dabei sein beim Neujahrsempfang der Stadt Marburg.
Das Internet kennt – anders als jeder noch so große Saal – keine Raumkapazitäten und Platzbeschränkungen. Statt der sonst üblichen rund 1.000 geladenen Gäste im Saal waren diesmal knapp 3.000 Zuschauende während der Premieren-Übertragung über die Homepage und die Facebook-Seite der Stadt zugeschaltet. außerdem gestalteten den Abend mehr Menschen als sonst aktiv mit, traten auf, redeten, sangen, informierten.
Zum Beispiel die Kinder der Jahrgangsstufe 4 der Erich-Kästner-Schule in Cappel erzählten, was ihnen in Marburg gefällt. Sie nannten die Natur und die Landschaft, die Einkaufsmöglichkeiten, das Rathaus.Zudem erklärten sie, wie sie einmal wohnen wollen.
Da spielt auch das Geld eine Rolle: „Wenn ich viel Geld habe, möchte ich einHaus haben“, erklärte ein Mädchen nüchtern. „Wenn ich wenig Geld habe, geht nur eine Wohnung.“
Spies stimmte ihr zu. „Bezahlbarer Wohnraum bleibt die größte soziale Frage unserer Zeit“, sagte Spies. Wohnen sei Menschenrecht.
2.950 Wohnungen seien in den vergangenen fünf Jahren in Marburg entstanden. Darunter waren gut 500 Sozialwohnungen. Weitere 1.000 Wohnungen werden derzeit geplant.
Das Credo „Bauen, bauen, bauen“ wirke. Der Anstieg der Mieten in Marburg sei vorerst gestoppt. Aber „in den nächsten fünf Jahren müssen es noch mal 3.000 Wohnungen werden“, betonte Spies nicht nur mit Blick auf das neue Wohngebiet am Hasenkopf.
Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sollen sich ein Eigenheim in Marburg leisten können – einen Vorschlag dafür werde er dieses Jahr der Stadtverordnetenversammlung (StVV) vorlegen, kündigte Spies an. „Die Systemrelevanten brauchen keinen Applaus; sie brauchen bezahlbaren Wohnraum.“
Auch der Klimaschutz bewegt die Grundschulkinder: Elektroautos spielen in ihren Beiträgen eine große Rolle und die Mobilität mit Fahrrad und Bus. die Busse fahren ja eh“.
Eine interessante Idee ist außerdem der Vorschlag, mit dem Pferd zur Arbeit. zu komme, denn Pferde hinterlassen keine Abgase. Wichtig für die jüngsten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Empfangs sind zudem Mülltrennung, die Renaturierung der Lahn, Energiesparen: „Ganz oft mache ich der Mama das Licht aus“, berichtete eine Schülerin.
Die Klimakrise zu stoppen, das sind wir den Kindern verpflichtet, betont Spies. Kreative Ideen sind dazu notwendig – wie zum Beispiel der Solarenergie-generierende Straßenbelag, mit dem die Stadtwerke dieses Jahr eine Testfläche ausstatten. Und natürlich der Klima-Aktionsplan, mit dem Marburg Maßstäbe gesetzt hat. Klimaneutral bis 2030 – dieses ehrgeizige Ziel sei nur gemeinsam zu erreichen. Die Stadt hilft dabei und fördert die Bürger*innen, die mitmachen wollen – das erklärt Bürgermeister und Klimadezernent Wieland Stötzel, der sich aus seinem Büro zuschaltet. Stötzel ruft dazu auf, die Förderprogramme der Stadt zu nutzen, etwa für energetische Sanierung oder Elektrofahrräder. „Machen Sie es wie ich und fahren Sie mit dem Rad zur Arbeit. Mobilität ist ein wichtiger Baustein für mehr Klimaschutz“, so Stötzel. Mit Fahrradspuren, Radfahrampeln, mehr Fahrradparkplätzen habe Marburg schon viel getan, ergänzt Spies. Es folgt die Elektrifizierung der Stadtbusse – und die gemeinsame Verkehrswende. „3762 Bürger*innen haben bei unserer Umfrage mitgemacht und uns Ideen, Wünsche und Anregungen für Mobilität in Marburg mitgegeben“, sagte Spies. Daraus entstehe in 2021 ein umfassendes Mobilitätskonzept für Marburg, für die Menschen.
Zu einem Marburg der Zukunft gehört auch eine gute Kinderbetreuung. Stadträtin Kirsten Dinnebier – zugeschaltet aus ihrem Wohnzimmer –
berichtete von rund 500 neuen Krippen- und Kitaplätze in Marburg seit 2016. Keine Kita-Gebühren, bessere Bildung in den Betreuungseinrichtungen – „das war mir persönlich sehr wichtig: Chancengleichheit von Anfang an“, sagt Dinnebier. Deswegen fließe auch viel Geld in die Sanierung der Schulen, in schöne, moderne Lernorte – und in die Digitalisierung, in fast 1000 Tablet-Computer für den Unterricht: „In Marburg wird kein Kind zurückgelassen; schon gar nicht in der Krise.“
Neben dem Thema Soziales, also den Millionen Euro für Projekte gegen Einsamkeit und Armut im Alter, für Stadtpass und Ehrenamt, für das neue Altenzentrum am Richtsberg oder das bundesweit einmalige Gesundheits- und Nachbarschaftszentrum im Waldtal und vieles mehr, spricht Spies wie jedes Jahr zu Neujahr auch diesmal wieder eindringlich gegen Rassismus, Diskriminierung, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit, die in der Stadt keinen Platz haben. „Marburg steht für Respekt, Toleranz und Miteinander. Dafür gehen bei uns 7500 Menschen auf die Straße“, so Spies.
Für das Marburg der Zukunft spielt aber auch die Gegenwart eine Rolle und damit Corona: „Das Virus ist gefährlich“, betonte Spies. „Viele Menschen haben Angehörige verloren.“ Der Oberbürgermeister rief dazu auf, die Corona-Regeln weiter einzuhalten –
und sprach über Hilfe: „Unsere starke Wirtschaft hat uns sehr geholfen“, erläuterte Spies. Deshalb habe die Stadt auch der Wirtschaft helfen können etwa mit dem Stadt-Geld im Sommer.
Zudem bietet sie weitere Hilfen an wie Mieterschutz, Bildungsgutscheine, iPads für Homeschooling und Taxi-Gutscheine für Seniorinnen und Senioren. Wichtig sei nun: „Lassen Sie sich impfen“, rief das Stadtoberhaupt auf. „Impfungen haben uns von verheerenden Seuchen befreit.“
Er ergänzte: „Lassen Sie uns diese Chance nicht vertun. Es ist ein Geschenk und eine Verpflichtung.“ Dass Marburg einer der Orte sei, an denen der Covid-Impfstoff – ganz in der Tradition Emil-von-Behrings – produziert wird, sei das Verdienst der klugen Wirtschaftspolitik seiner Amtsvorgänger, betonte Spies.
Tradition und Geschichte, Gegenwart und die Stadt der Zukunft spielt eine entscheidende Rolle beim Stadtjubiläum „Marburg800“ 2022. Dazu gibt es dieses Jahr die Veranstaltungsreihe „Marburg800 weiter denken“. Alle Bürgerinnen und Bürger sind zum Mitmachen und Mitdenken eingeladen.
„Gemeinsam mit Ihnen wollen wir eine langfristige Zukunftsvision für ein gutes Leben für alle in der Stadt, mit der Stadt und über sie hinaus entwickeln“, fasste Spies zusammen. Passend trat hat Poetry-Slammer Lars Ruppel – online – auf und sprach über Marburg, darüber, wie man sich fühlt, wenn man in Marburg lebt; über Menschen, „die mehr als die Vorwahl verbindet“, über Menschen, die Marburg erfinden.
„Marburg ist alles, was war plus alles was wird, verbunden durch das, was jetzt gerade passiert, multipliziert mit all dem, was du für diese Stadt willst“, erklärte der (Ex)-Marburger, der seine Zeilen aus Berlin schickt. „Marburg lebt als Idee, von vielen erdacht. Diese Stadt ist all das, was ihr daraus macht!.“
Was die Kinder der Erich-Kästner-Schule in Marburg wollen, wissen sie schon: einen Streichelzoo zum Beispiel, eine Trampolinhalle, niedrigere Bürgersteige für Rollifahrer, mehr Spielzeugläden, moderne Schulen mit Tabletts statt Tafelkreide, dass der Klimawandel vorbei ist und „kein Corona mehr“ stehen oben auf der Wunschliste für die Stadt der Zukunft.
„Wie sieht die Zukunft aus?“, fragte Spies auch den Roboter Pepper, der zu guter Letzt auf die Bühne im EPH rollte. „Wie wir sie uns ausmalen, Herr Oberbürgermeister“, antwortete Pepper, der gemeinsam mit OB Spies schließlich die Zuschauerinnen und Zuschauer des Online-Neujahrsempfangs verabschiedete. „Wir alle erfinden Marburg gemeinsam immer wieder neu.“#
Wie in jedem Jahr haben auch in der digitalen Variante des Neujahrsempfangs zahlreiche Kulturschaffende das Programm mit OB Spies zusammen gestaltet. Die Marburger Band „Yerba Colorá“ hat einen eigens komponierten Song über Hoffnung und die Zeit nach Corona aufgenommen – professionell im heimischen Studio.
Gleich aus mehreren heimischen Wohnzimmern hat sich der Chor „Klaudy Days“ unter Leitung von Klaudia Hebbelmann eingebracht: Sie sangen einzeln, schnitten Bild und Ton zusammen und schufen so ein kreatives Chorerlebnis.
Premiere feierte ihre Version von Stings „Shape of my Heart“. Ihre Version von „Himmel auf“ von Silbermond sorgte auch digital für einen Gänsehautmoment.
Aufgezeichnet wurden die Beiträge des Neujahrsempfangs im Vorfeld. So konnten die Stadt, die Firma Flashlight und die Kulturschaffenden die Einhaltung der Corona-Regelungen garantieren und zugleich zu einem kreativen und abwechslungsreichen Abendprogramm einladen.
Als weitere Neuerung des digitalen Empfangs kam Spies nicht erst nach seiner Rede mit Gästen ins Gespräch. Er chattet bereits während der Ausstrahlung mit Marburgerinnen und Marburgern über die eingerichtete Chatfunktion auf der Homepage und der Facebook-Seite der Stadt, beantwortete Fragen und nahm Anregungen auf. Dem Publikum gefiel das.
Der virtuelle Applaus für die Veranstaltung war groß. Dass der Empfang doch bitte auch nächstes Jahr für alle gestreamt werden solle, kam immer wieder im Chat. „Das machen wir“, versicherte Spies.
Die Aufzeichnung des digitalen Neujahrsempfangs ist weiterhin zu sehen unter www.marburg.de/neujahrsempfang2021.
* pm: Stadt Marburg
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