Der „Tag der Deutschen Einheit“ ist in Marburg wieder mit dem „Tag der kulturellen Vielfalt“ zusammen gefeiert worden. Corona-bedingt war die Feier am Samstag (3. Oktober) kleiner und ruhiger als sonst.
Einheit in Vielfalt, Miteinander in Freiheit, Würde und gegenseitiger Respekt sowie gleiche Chancen für alle sind die zentralen Botschaften der Feier zum 3. Oktober in Marburg. Dafür gab es ein Fest im Erwin-Piscator-Haus (EPH). Per Video-Schaltung waren die Feiernden dort verbunden mit der Interkulturellen Bühne im KFZ und erstmals live übertragen in alle Welt.
„Herzlich Willkommen“, begrüßte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies die Gäste im großen Saal des EPH, das zugeschaltete Publikum im KFZ ein Stockwerk darunter und alle „vor den Bildschirmen und Smartphones im Internet“. Aus der thüringischen Partnerstadt Eisenach war Spies‘ Amtskollegin Katja Wolf mit einer kleinen Delegation nach Marburg gekommen. Gemeinsam feierten die Oberbürgermeisterin und ihr Marburger Kollege das 30. Jahr der Deutschen Einheit und das 32. Jahr der Städtepartnerstadt.
Statt der sonst vollbesetzten Reihen im großen Saal des EPH gruppierten sich die rund 100 angemeldeten Gäste des diesjährigen 3. Oktobers corona-konform mit viel Abstand zu sechst um festlich gedeckte Kaffeetafeln. Neben KWolf und Spies nahmen unter anderem Stadträtin Kirsten Dinnebier, Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk, zahlreiche Magistratsmitglieder und Stadtverordnete, Ehrenbürger wie der frühere Oberbürgermeister Egon Vaupel, Stadtälteste wie Heinrich Löwer, die Integrationsbeauftragte Xiaotian Tang sowie Goharik Gareyan-Petrosyan als Vorsitzendes des Ausländerbeirats teil, der das Fest mitveranstaltete.
Anstelle eines bunten Fests im Freien gab es diesmal fast drei Stunden spannendes Multi-Media-Programm drinnen mit Reden und Musik, Zeitzeugen-Interviews, humorvollen Einspielern, interkulturellem Rätselraten, einer berührenden Zeitreise und einem Moderations-Duo, das an zwei verschiedenen Orten – per Video-Schaltung verbunden – durch die kompakte und unterhaltsame Festveranstaltung führte. Live zu sehen war sie in Marburg, Eisenach und in aller Welt durch den Klick auf die städtische Homepage oder Facebook-Seite.
„Unzweifelhaft war der 3. Oktober, der Tag, an dem das eine Deutschland im anderen aufging, für viele Menschen ein Moment der Freude und der Befreiung, ein Tag der Hoffnung und der Erwartungen“, erinnerte Oberbürgermeister Spies an das Jahr 1990. „Die Ernüchterung folgte schnell“, fügte Spies hinzu.
Zu groß, zu unhaltbar seien die Versprechungen gewesen; zu wenig sei der ökonomische Raubbau reguliert und unter Kontrolle gehalten worden. „Zu viele Wessis spielten sich als Sieger auf“. Die Kränkungen und Entwertung, die die Wiedervereinigung für so viele bedeutet habe, wirkten bis heute fort, sagte Spies mit Blick auf die nach wie vor bestehende Ungleichheit bei Renten, Einkommen, Chancen und Anerkennung zwischen Ost und West.
„Wenn wir wirklich zusammenwachsen und erfolgreich sein wollen, wenn wir Demokratie und Recht erhalten und das Vertrauen in die Fürsorglichkeit des Staates und das Gemeinwesen wieder herstellen wollen, dann muss es Fairness geben zwischen allen, die hier leben“, stellte der Marburger Oberbürgermeister klar. Der 3. Oktober müsse ein Tag des Miteinanders aller Menschen sein. „Er muss ein Tag sein, der uns jedes Jahr auffordert, dieses Land ein Stückchen besser zu machen, einiger, gerechter, rücksichtsvoller.“
Dass das Gemeinwesen nur gelingt, wenn sich alle fair behandelt wissen, betonte auch Eisenachs Oberbürgermeisterin Wolf zum „30. Geburtstag“ des wiedervereinten Deutschland, zum „30. Hochzeitstag“ zwischen Ost und West. „Wie konnte es dazu kommen, dass 44 Prozent der Menschen im Westen und 72 Prozent derer im Osten heute mehr Trennendes sehen als Verbindendes?“, fragte sie.
Eine Antwort liege in der Entwürdigung, Degradierung, Kränkung der Menschen im Osten durch millionenfache berufliche Deklassierung, Abwanderung in den Westen, durch Arbeitslosigkeit oder erzwungenen Verrentung mitten im Berufsleben. Die Euphorie vom 9. November 1989 sei ob der rasenden Geschwindigkeit, mit der sich alles veränderte „und die uns überrannt hat“, einer Ernüchterung gewichen, die schon am 3. Oktober 1990 spürbar gewesen sei. „Das wirkt auch in der heutigen jungen Generation noch nach – trotz der Erfolgsgeschichte, die die Wiedervereinigung auch ist.“
Die Lösung liege in der Würde, darin sich auf Augenhöhe zu begegnen, die Lebensleistung der anderen anzuerkennen. Das gelte “ nicht nur am 3. Oktober“, betonte Wolf ebenso wie Spies. Das sei in der Städtepartnerschaft zwischen Marburg und Eisenach über all die Jahre gelungen. Das sei nicht nur ein Rezept für Deutschland, sondern ebenso für ein friedliches Zusammenleben weltweit.
Vor den Festreden der beiden Stadtoberhäupter hatte das Bläserquintett des des Studenten-Sinfonie-Orchesters Marburg (SSO) unter Leitung von Dr. Ulrich Metzger die Feierstunde eingeläutet. Für die weitere musikalische Begleitung des Festakts im EPH-Saal verstärkten Jan Kleeb und ein multinationales Quartett die Blasmusik. Die Nationalhymne erklang in vielfältigen Varianten. Von den Festgästen mitgesungen wurde sie dieses Jahr – wiederum corona-begingt – nicht.
Zwischen zwei Hymnen-Varianten sprach Gareyan-Petrosan vom Ausländerbeirat über „zusammenwachsen und zusammenleben“. Sie erklärte: „Bei allen Herausforderungen ist unser aller Sehnsucht groß, die Einheit in Vielfalt tatsächlich herzustellen, damit alle Menschen in Marburg, in Eisenach und überall auf der Welt glücklich leben können.“
Zur Klassik und den klaren Worten für Demokratie, Einheit, soziale Gerechtigkeit, Würde und Respekt im EPH gab es von der Internationalen Bühne im KFZ orientalischen Balkan-Blues der Band „Radio Rumeli“ und mitreißende lateinamerikanische Rhythmen von „Sonida Aguajal“. Wer die Live-Übertragung der Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit und Tag der kulturellen Vielfalt in Marburg verpasst hat, kann die Aufnahme des kompletten Programms unter marburg.de/3oktober ansehen.
* pm: Stadt Marburg