Die Steuerung des Blutzuckerspiegels geht an einer entscheidenden Schaltstelle langsamer vor sich als vergleichbare hormonelle Vorgänge. Das ergibt sich aus der Struktur und Funktion des Rezeptors, der auf die Ausschüttung des Hormons „Glucagon“ reagiert.
Er übersetzt diese in eine zelluläre Antwort, die zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führt, aber mit Verzögerung. Ein internationales Forschungsteam um den Marburger Biologen Dr. Daniel Hilger hat den Rezeptor genau unter die Lupe genommen; es berichtet im Wissenschaftsmagazin „Science“ über seine Ergebnisse.
Das Hormon „Glucagon“ steuert den Blutzuckerspiegel, der krankhaftes Übergewicht und Diabetes beeinflusst. Schüttet die Bauchspeicheldrüse das Hormon aus, so führt das über eine komplizierte Abfolge molekularer Wechselwirkungen dazu, dass Zucker freigesetzt wird. Zu Beginn steht dabei die Kopplung von Glucagon an seinen Rezeptor, der in der Zellmembran verankert ist.
„Wegen seiner grundlegenden Rolle beim Glukose-Stoffwechsel bietet sich der Rezeptor als Ziel für die Behandlung von Patienten an, die an Diabetes oder krankhaftem Übergewicht leiden“, erklärte Hilger, der maßgeblich an der Forschungsarbeit mitgewirkt hat. Sobald Glucagon auf der Zelloberfläche an den Rezeptor koppelt, stößt er im Zellinneren eine Kaskade von Reaktionen an, die schließlich eine erhöhte Zuckerabgabe ins Blut zur Folge hat.
Das kettenförmige Rezeptormolekül ist in eine Vielzahl von Schlaufen gelegt, die den Rezeptor in der Zellmembran verankern. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Hilger klärten die Struktur des Rezeptors mittels Kryo-Elektronenmikroskopie auf, bei der die Moleküle stark gekühlt werden. „Wir haben ein künstliches Glucagonmolekül mit verbesserter Löslichkeit hergestellt, das wir in Komplex mit dem Rezeptor untersuchten“, berichtete Hilger, der diese Forschungsarbeiten noch in seiner Zeit an der Stanford Universität in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) durchführte.
Eine der Molekülschlaufen enthält eine ausgeprägte Bruchstelle; sie kommt bei verwandten Rezeptoren für andere Botenstoffe nicht vor. Dieser Unterschied bleibt nicht ohne Folgen: Dadurch verlangsamt sich offenbar die Aktivierung der Proteine, die im Zellinneren nachgeschaltet sind.
„Das Glucagon-Hormon hat eine starke Tendenz, an den Rezeptor zu koppeln und dort zu verbleiben“, erläuterte der Biologe. Das könnte dazu führen, dass der Blutzuckerspiegel immer weiter steigt. „Wir vermuten, dass durch die erschwerte Aktivierung der nachgeschalteten Signalproteine eine bessere Kontrolle des Blutzuckerspiegel-Anstiegs ermöglicht wird.“
Die Gruppe analysierte auch noch weitere Proteine derselben Rezeptorfamilie. „Die Ergebnisse legen nahe, dass die beobachteten Unterschiede sich für die gesamte Klasse verwandter Rezeptoren verallgemeinern lassen“, berichtete Hilger. Wenn man Wirkstoffe finde, die die Bruchstelle stabilisieren, so könne das ganz neue Möglichkeiten für Therapien zum Beispiel bei Diabetes und krankhaftem Übergewicht eröffnen, vermutet der Gruppenleiter.
Der Biologe Hilger leitet eine Forschungsgruppe am Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität. Die Veröffentlichung entstand noch im Labor des Chemie-Nobelpreisträgers Professor Dr. Brian Kobilka an der Stanford Universität. Neben Hilger beteiligten sich weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Stanford Universität sowie anderer Forschungsinstitutionen aus den USA, Dänemark und Japan an der Studie. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und eine Reihe von Förderorganisationen haben die Forschungsarbeit unterstützt.
* pm: Philipps-Universität Marburg