Abstand Halten ist das Gebot der Corona-Pandemie. Für Blinde und Sehbehinderte ist das eine echte Herausforderung.
Zum Sehbehindertentag am Samstag (6. Juni) verweisen ihre Selbsthilfeorganisationen auf die besondere Situation ihrer Mitglieder. Sie wünschen sich, dass Mitmenschen sie ansprechen und die jeweilige Situation möglichst genau beschreiben. Vielen macht es zu schaffen, dass im öffentlichen Raum seit Beginn der Kontaktbeschränkungen mehr geschwiegen wird als vorher.
„Bereits im normalen Alltag fällt es vielen Mitmenschen schwer, Situationen zu verbalisieren“, erklärt ein Betroffener aus Marburg. „Jetzt mit Corona wird das für uns aber noch wichtiger als ohnehin schon.“
Er wünscht sich Hinweise wie „Sie stehen zwei Meter hinter dem Ende der Schlange zum Supermarkt“ oder „Sie können jetzt einen Schritt vorwärtsgehen“. Aussagen wie „Ich sag Ihnen gern Bescheid, wenn Sie dran sind“ oder „Einen Meter rechts von Ihnen ist ein Spender für Desinfektionsmittel“ sind ebenso hilfreich wie das Versprechen „Wenn Sie einen Schritt zurückgehen, stehen Sie hinter der Markierung“. Ein Großteil der Betroffenen kann gar nicht genug von freundlichen Hinweisen dieser Art bekommen.
Ungefragt angefasst werden wollen sie aber auf keinen Fall. Um sich mit dem notwendigen Abstand von 1,50 Metern von fremden Menschen führen zu lassen, hat eine Sehbehinderte immer einen zweiten Stock dabei, dessen Griff sie dem Fremden anbietet, während sie selbst die Spitze anfasst. Andere benutzen dafür ein zwei Meter langes Seil, das an beiden Enden dick verknotet ist, damit sie und die Führperson sich an den Knoten festhalten und dennoch Abstand beim Führen halten können.
In Deutschland leben rund 155.000 blinde und zwischen 500.000 und 1,1 Millionen sehbehinderte Menschen. Als sehbehindert gilt jemand, wenn er trotz des Tragens von Sehhilfen wie Brille oder Kontaktlinsen, nicht mehr als 30 Prozent eines normal Sehenden sieht und diese Beeinträchtigung dauerhaft ist.
Der Übergang von Sehbehinderungen zur Blindheit ist fließend. Die allermeisten Blinden haben noch einen kleinen Sehrest, der zur Orientierung aber nicht mehr ausreicht. Sehbehinderte hingegen können sich in manchen Situationen noch optisch orientieren, während sie in anderen Fällen auf Unterstützung angewiesen sind.
Ebenso unterschiedlich wie die Sehbehinderungen ist auch der Umgang der Betroffenen damit. Viele Zeitgenossen schließen von einer sehbehinderten Person in ihrer Bekanntschaft auf alle anderen, womit sie den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht werden können. Zudem treten zu einer Sehbehinderung oft auch noch andere gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzu.
Gegen die verständliche Furcht, vielleicht etwas falsch machen zu können, hilft Reden. Dabei kann man auch die Antwort erhalten, dass die angesprochene Person keine Hilfe benötigt. Das sollte die Hilfsbereitschaft beim nächsten Mal aber nicht schmälern.
Die größte Behinderung ist Respektlosigkeit gegenüber den Betroffenen. Respekt akzeptiert die ganz eigene Würde jedes einzelnen Menschen in seiner Unvollkommenheit mit all seinen Schwächen und Stärken. Diese Haltung sollte Grundlage aller menschlichen Kontakte sein und die Bereitschaft zu gegenseitiger solidarischer Unterstützung einschließen.
* Franz-Josef Hanke