Auf Straßen: Gewerkschafterin Anna Boulnois zum 1. Mai

Anna Boulnois

Anna-Maria Boulnois

„Das ist nicht der 1. Mai, wie ich ihn kenne“, sagt Anna-Maria Boulnois. Von frühester Kindheit an war sie in Marburg am „Tag der Arbeit“ auf der Straße.
Später feierte sie den 1. Mai immer dort, wo sie lebte. In den letzten Jahren in Mainz war sie auch immer in dessen Organisation eingebunden.
„Meine Eltern sind schon lange gewerkschaftlich aktiv; der 1.Mai ist ein Highlight jedes Jahr“, erklärt die 32-jährige Marburgerin. Seit dem 1. September 2019 ist sie die zuständige Gewerkschaftssekretärin für Marburg beim DGB Mittelhessen. Doch ihre erste Maifeier in eigener Verantwortung hatte sie sich noch bis Mitte März ganz anders vorgestellt.
„Am 20. März hat der DGB entschieden, den 1. Mai nur online durchzuführen“, erklärt die Gewerkschafterin. „Das tun wir zum Schutz all unserer Mitglieder und auch der Hauptamtlichen. Wir nehmen die Verantwortung für die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen sehr ernst.“
Allerdings ist die neue Form der Maifeier unter dem Hashtag #Solidarischnichtalleine nicht die Art, wie sich Boulnois den alljährlichen „Kampftag“ der Arbeiterschaft wünscht. „Am 1. Mai gehen wir jedes Jahr auf die Straße, um gemeinsam zu demonstrieren und zu feiern“, erklärt sie, „und ich hoffe, dass wir das nächstes Jahr auch wieder in besonders großer Zahl tun können.“
Am Maifeiertag 2020 hingegen wird es eine zentrale Online-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) geben. Neben Reden und Gesprächen wird es auch Musik von MIA, Konstantin Wecker und anderen sowie einen online-Chor zu sehen geben. Ab 11 Uhr wird die Livesendung auf www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit gesendet.
Aber auch der DGB Mittelhessen hat zum 1. Mai eigene Online-Aktivitäten vorbereitet. Jeder der vier Kreisvorsitzenden wird ein kurzes Video mit einem Teil der Rede aufnehmen, die er sonst vor Ort gehalten hätte. Der Marburger DGB-Kreisvorsitzende Pit Metz hat seine Rede schon aufgenommen.
Außerdem hat der DGB Mittelhessen Poster mit dem diesjährigen Mai-Motto an Interessierte verschickt, die sich dann vor diesen Postern haben fotografieren lassen. Diese Aufnahmen stellt der DGB Mittelhessen zum 1. Mai 2020 online unter www.mittelhessen.dgb.de.
„Die Corona-Pandemie hat den Alltag massiv verändert“, erläutert Boulnois. „Allerdings zeigt sie, wer die eigentlichen Leistungsträger*innen sind. Meist sind es prekär Beschäftigte und zum großen Teil Frauen.“
Jetzt werde vielen klar, wie ungerecht die Bezahlung in Einzelhandel, Kitas und Pflege ist. Außerdem zeige sich in der Krise auch, wie wenig soziale Sicherheit viele Menschen in künstlerischen Berufen genießen. Auch die unzureichende Höhe des Kurzarbeitergelds komme nun endlich bei vielen Menschen zur Sprache.
„Hartz IV und die Abhängigkeit Zigtausender von Tafeln sind jetzt ein Thema, das viele mit der Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen beantworten“ bemerkt Boulnois. „Für uns Gewerkschaften gibt es also ein riesiges Paket an Themen, über die wir ausgiebig zu diskutieren haben.“
Für Boulnois geht es dabei zunächst um einen angemessenen Mindestlohn, Tarifverträge mit familienfreundlichen Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort sowie die Durchsetzung sozialer Standards in der Praxis. Bei der Förderung von Branchen wegen ausgefallener Einnahmen durch die Pandemie müssten soziale und Umweltstandards zur Bedingung für kommende Staatsgelder gemacht werden.
Insbesondere die Situation von Frauen liegt der Kulturwissenschaftlerin am Herzen. „Es gibt eine – seit Langem gewachsene – Tradition gewerkschaftlicher Frauenarbeit beispielsweise mit den Lsuf- und Lesebüchern zu Frauen in Marburg, in der ich mich sehr wohlfühle“, erklärt die junge Gewerkschafterin.
Zum DGB kam sie während ihres Studiums in Mainz durch das Netzwerk für Demokratie und Courage. Als für dieses Projekt der DGB-Jugend in Rheinland-Pfalz 2016 eine hauptamtliche Kraft gesucht wurde, bewarb sich Boulnois.
2019 wurde dann die Stelle in Marburg frei. „Das war für mich ideal“, schwärmt sie. „Ich kenne vieles und viele in Marburg, entdecke aber in meiner jetzigen Position auch einiges ganz neu.“
In ihrer Freizeit liest Boulnois Bücher des Genres „Phantastik“. Außerdem wandert sie gern in der Natur. Schließlich näht sie, weshalb sie sich selbst auch eigene Gesichtsmasken herstellen konnte.
„Meine Masterarbeit habe ich über Ölförderung und Zivilgesellschaft im Niger-Delta geschrieben“, berichtet Boulnois. Zur Recherche vor Ort hat sie drei Monate in Nigeria verbracht. Die Auseinandersetzung mit den Folgen kolonialistischer Strukturen ist ihr deshalb ebenfalls wichtig.
Die Arbeit im DGB betrachtet sie als eine Chance, Zukunft mitzugestalten. „Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen wollen wir uns für eine gerechtere Welt einsetzen, die die Ausplünderung von Mensch und Natur überwindet“, erklärt sie. dafür gelte natürlich das Mai-Motto „Solidarisch, nicht allein“.

* Franz-Josef Hanke

Kommentare sind abgeschaltet.