Für ihr besonderes Engagement für die Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit hat die Universitätsstadt Marburg Gabriele Naxina Wienstroer mit dem Marburger Gleichberechtigungspreis ausgezeichnet. Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Dr. Marlis Sewering-Wollanek von der Gleichstellungskommission überreichten der Diplom-Pädagogin den mit 2.500 Euro dotierten Preis.
„Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein zentrales Anliegen der Universitätsstadt Marburg“, erklärte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies während seiner Begrüßung. „Uns ist bewusst, dass es noch ein langer Weg ist, bis Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Umso dankbarer sind wir für die Menschen, die sich für die Gleichbehandlung der Geschlechter einsetzen und zu einer Veränderung in der Gesellschaft beitragen.“
In diesem Sinne dankte er Wienstroer, die im Jahr 2019 den Gleichberechtigungspreis der Stadt Marburg erhielt. „Menschen wie dich brauchen wir in unserer Stadt. Ganz besonders in den heutigen Zeiten, in denen manche ganz unverhohlen die Gleichberechtigung in Frage stellen“, sagte Spies.
„Wir stecken in einem zähen und mühsamen Prozess der Umsetzung der Gleichstellung“, sagte Sewering-Wollanek. Die Vorsitzende der Marburger Gleichstellungskommission hielt die Laudatio auf die Preisträgerin.
Wienstroer trage dazu bei, dass Missstände bewusst gemacht werden: „Sie ist eine der herausragenden Persönlichkeiten, die sich in Marburg für Gleichberechtigung engagiert. Ihr Engagement ist aber auch von überregionaler Bedeutung.“
Wienstroer setze sich insbesondere ein für Mädchen und Frauen mit Behinderung. Dabei gehe es ihr darum, für eine gesellschaftliche Wahrnehmung der Benachteiligung zu sorgen und die Situation der Mädchen und Frauen zu verbessern und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. „Dabei betrachtet sie Probleme und Lösungen differenziert und kategorisiert nicht – genau, wie sie auch die Menschen differenziert betrachtet.“
Die Kasseler Frauenbeauftragte Dr. Ute Giebhardt hatte Wienstroer gemeinsam mit Rita Schroll für den Preis vorgeschlagen: „Es wird noch viel Einsatz auf vielen Ebenen nötig sein für eine gleichberechtigte Teilhabe von Mädchen und Frauen mit Behinderung. Naxina Wienstroer setzt sich dafür persönlich mit großer Entschlossenheit ein“, sagte sie und dankte der Stadt Marburg dafür, dass sie einen Gleichberechtigungspreis vergebe.
Bereits zum sechsten Mal hat die Universitätsstadt Marburg die mit 2.500 Euro dotierte Auszeichnung verliehen. Seit 2009 werden mit dem Preis alle zwei Jahre Einzelpersonen, Paare, Vereine und Gruppen ausgezeichnet, die ehrenamtlich oder beruflich die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Sinne des Grundgesetzes in besonderer Weise stärken und zur Aufhebung traditioneller Rollenbilder beitragen.
Nach wie vor stehen Frauen häufiger als Männer in Teilzeitbeschäftigungen und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Sie sind es auch, die als Mütter vorwiegend die Elternzeit in Anspruch nehmen. Zum einen wirkt sich das negativ auf die Berufsentwicklung aus; zum anderen bedingen diese Faktoren aber auch einen deutlich niedrigeren Rentenanspruch im Gegensatz zu Männern, die in der Regel einen höheren Bruttoverdienst und eine zumeist kontinuierlichere Erwerbsbiografie aufweisen können.
Doch nicht nur im Hinblick auf Rentenansprüche sind Frauen benachteiligt, sondern auch in Bezug auf Ehrungen für ehrenamtliche Tätigkeiten auf Bundes-
und Lokalebene. Mit dem Marburger Gleichberechtigungspreis möchte die Universitätsstadt Marburg nicht nur die Anzahl der Frauen erhöhen, die eine städtische Auszeichnung erhalten, sondern auch diejenigen Tätigkeiten von Frauen und Männern würdigen, die zur Geschlechtergleichbehandlung beitragen.
Zu ihnen gehört Wienstroer, die seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen kämpft, insbesondere für die Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderung und beispielsweise für das Recht auf gleichgeschlechtliche Pflege. Die Diplom-Pädagogin ist seit 2016 als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Hessischen Koordinationsbüros für Frauen mit Behinderung Vorsitzende des Landesbehindertenrats und setzt sich für alle Menschen mit Behinderung in Hessen, aber insbesondere für die Mädchen und Frauen ein. Für gleichberechtigte Teilhabe engagiert sie sich auch im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als psychosoziale Beraterin und im Aufsichtsrat beim Marburger Verein zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib).
Seit vielen Jahren ist sie Mitglied der Marburger Gleichstellungskommission. Darüber hinaus hat sie bereits an vielem mitgewirkt. Dazu zählt etwa die Koordinierung einer Arbeitsgruppe zur Mitarbeit an der Konzipierung des neuen Aktionsplans des Landes Hessen zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterstützt.
Ein wichtiges Thema dabei ist Gewalt an Mädchen und Frauen mit Behinderung und in diesem Zusammenhang die Zugänglichkeit von Beratungs- und Schutzangeboten. Dabei spielt das Thema Barrierefreiheit eine große Rolle nicht nur im Sinne von Rollstuhlbefahrbarkeit, sondern beispielsweise auch bezüglich Möglichkeiten zur Übersetzung für gehörlose Frauen oder Schulung von Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen in Leichter Sprache.
„Ich bin gerührt und aufgeregt“, sagte Wienstroer. „Und ich habe mit diesem Preis nicht gerechnet.“
Sie habe aber mit vielem in ihrem Leben nicht gerechnet. Dazu gehört zum Beispiel, einmal erwerbstätig sein zu können und nebenbei noch politisch, feministisch und ehrenamtlich aktiv.
„Behindert sein und aktiv sein schließt sich nicht aus“, erklärte sie. „Aber es braucht auch Unterstützung.“
Wienstroer dankte allen Menschen, die sie unterstützen. „Behinderte Menschen müssen lernen: Ich bin nicht perfekt, aber andere Menschen sind es auch nicht“, erläuterte Wienstroer. „Und ich habe gelernt, dass ich mich wehren kann, dass ich klagen kann, wenn ich diskriminiert werde.“ Deshalb wünsche sie sich auch, dass andere Frauen mit Behinderung Unterstützung finden beispielsweise über Mentorinnen.
Unter Applaus nahm die Preisträgerin die Ehrung entgegen. Gekommen waren viele Freunde und Wegbegleiter*innen von Wienstroer, um die Feierstunde und den anschließenden Empfang mit ihr zu begehen. Für den würdigen Rahmen sorgte die Marburger Band „Bloody Merry“ mit „I`ll see you in my dreams“, mit „Summertime“ und „My Way“.
* pm: Stadt Marburg