Beschleunigter Beschleuniger: Erfolg am CERN dank Marburger Chemikern

Marburger Chemiker ebnen den Weg zu einem neuen Typ von Teilchenbeschleuniger. Elektronen erreichen darin auf kürzerer Strecke höhere Beschleunigungen als bislang möglich.
Der Chemiker Prof. Dr. Florian Kraus und sein Doktorand Lars Deubner beteiligten sich an einem Experiment des internationalen „AWAKE“-Konsortiums, das am Teilchenbeschleuniger CERN in der Schweiz ein neuartiges Konzept testete. Dabei konnten sie einen Erfolg verbuchen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsverbunds berichten in der aktuellen Ausgabe des Magazins „Nature“ über ihre Ergebnisse.
Teilchenbeschleuniger wie am CERN tragen entscheidend zu einem tieferen Verständnis von Elementarteilchen und der fundamentalen Kräfte bei, die deren Wechselwirkungen steuern. Der Wunsch, mit immer höheren Energien zu arbeiten, führt zu immer leistungsfähigeren Beschleunigern.
„Die Experimente des Awake-Konsortiums richten sich auf die nächste Generation von Teilchenbeschleunigern“, erklärte Kraus. Der Chemieprofessor von der Philipps-Universität ist Ko-Autor der aktuellen Veröffentlichung.
Um ein neues Beschleunigungssystem zu entwickeln, das auf gleicher Länge mit erhöhter Energie arbeitet und die Größe des Beschleunigers dadurch begrenzt, setzt der „Awake“-Verbund auf das Plasma-Kielfeld-Konzept. Es wird so genannt, weil es auf einem Gas aus geladenen Teilchen basiert. In diesem „Plasma“ wird eine Welle erzeugt, die mit hoher Geschwindigkeit durch das Plasma wandert wie das Kielwasser eines Schiffs durch die See.
Auf dieser Welle wird ein Teilchenstrahl kontinuierlich beschleunigt. Vergleichbar ist das mit einem Surfer, der auf einer Welle reitet. „Durch dieses Surfen auf der Kielwelle erreichen die Teilchen auf einer Strecke von einem Zentimeter dieselbe Beschleunigung, für die andere Beschleunigertypen mindestens 30 Meter benötigen“, erläuterte Kraus.
Das „Advanced-Wakefield-Experiment“ (AWAKE) am CERN verwendet Protonenstrahlen, um ein Kielfeld in einem 10 Meter langen Plasma anzutreiben. Dieses Plasma beruht auf dem Gas des hochreaktiven Alkalimetalls Rubidium, das durch einen Laserstrahl ionisiert und so mit einer elektrischen Ladung versehen wird.
„Wir haben die Physiker beim Umgang mit Rubidium beraten“, beschrieb Ko-Autor Deubner die Aufgabe des Marburger Teams. Die Chemiker testeten zum Beispiel in Experimenten, wie sich Rubidium in der Versuchsanordnung verhalten würde. Daraus leiteten sie ab, wie die Anlage gebaut werden müsse.
Die Studie, die auf den Experimenten am CERN basiert, präsentiert erstmals Daten zu dem neuen Typus des Kielfeld-Beschleunigers. Die Federführung lag bei Prof. Dr. Allen Caldwell und Dr. Patric Muggli vom Max-Planck-Institut für Physik in München. Darüber hinaus beteiligen sich zahlreiche Forscherinnen und Forscher aus 21 Hochschulen und Forschungseinrichtungen in aller Welt am „Awake“-Verbund.
„Unsere Ergebnisse sind ein großer erster Schritt zur Entwicklung künftiger hochenergetischer Teilchenbeschleuniger“, fassten die Autorinnen und Autoren die Ergebnisse zusammen. Kraus lehrt Anorganische Chemie an der Philipps-Universität und leitet die Arbeitsgruppe Fluorchemie. Seit Anfang 2018 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sein Projekt „Fluorchemie unter Hochdruck“ durch ihr „Reinhart Koselleck-Programm“.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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