Alte Rollenbilder: Untersuchung zur Berufstätigkeit von Frauen

Die Berufstätigkeit von Frauen hängt auch von gesellschaftlich verbreiteten Grundhaltungen ab. Für diese Erkenntnis haben Forscherinnen aus Marburg und Hamburg die deutsche Teilung als Verhaltensexperiment genutzt.
Ob Mütter sich dazu entschließen, einem Beruf nachzugehen, hängt nicht nur von materiellen Anreizen ab; eine Rolle spielt auch, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Gesellschaft bewertet wird, in der die Frauen leben. Das zeigen Wirtschaftswissenschaftlerinnen aus Marburg und Hamburg, indem sie die Verhältnisse in Ost- und Westdeutschland vergleichen. Prof. Dr. Evelyn Korn von der Philipps-Universität und Prof. Dr. Miriam Beblo von der Universität Hamburg veröffentlichen ihren Aufsatz in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt“, die Ende Juli erscheint.
Zahlreiche sozialwissenschaftliche Erhebungen belegen, dass die weibliche Erwerbsbeteiligung durch institutionelle Maßnahmen beeinflussbar ist. Das kann etwa durch Elternzeitregelungen oder das Steuersystem geschehen.
„Unsere Studie zeigt, wie solche materiellen Einflüsse durch weiche Faktoren ergänzt werden, besonders durch gesellschaftlich vorherrschende Überzeugungen zur Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit“, erklärte die Mitverfasserin Korn. Die beiden Autorinnen analysierten die Entwicklung der Werthaltungen sowie des Erwerbsverhaltens in Ost- und Westdeutschland. „Wir nutzen die deutsche Teilung gewissermaßen als ein natürliches Experiment“, führte Korn aus.
Obwohl sich Löhne, Betreuungseinrichtungen und weitere Institutionen mittlerweile bundesweit weitgehend angeglichen haben, unterscheiden sich Ost- und Westdeutschland sowohl, was den Grad der Erwerbsbeteiligung von Müttern angeht, als auch hinsichtlich der Einstellung zu der Frage, ob Familie und Beruf vereinbar seien. Wie der europaweite Vergleich zeigt, müsste der Anteil der berufstätigen Mütter in Deutschland deutlich höher ausfallen, sofern der institutionelle Rahmen die einzige Ursache für deren Erwerbsbeteiligung wäre.
„Das legt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der mütterlichen Berufstätigkeit und den Überzeugungen geben muss“, legte Korn dar. „Wenn alle Akteure am Arbeitsmarkt glauben, dass Familie und Beruf vereinbar sind, wird sich dies in größerer weiblicher Erwerbsbeteiligung niederschlagen und umgekehrt.“
Ostdeutsche Frauen sind mehr in den Arbeitsmarkt integriert als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westen der Republik. So sind ostdeutsche Frauen häufiger erwerbstätig und seltener in Teilzeit. Insbesondere Mütter sind doppelt so häufig in Vollzeit beschäftigt wie in Westdeutschland.
„Wir vermuten aufgrund unserer Analysen, dass die größere Ähnlichkeit ostdeutscher Frauen und Männer in ihrem Arbeitsmarktverhalten auf die staatssozialistische Prägung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger zurückzuführen ist“, folgerte Korn aus den Ergebnissen. „Die geringere Ähnlichkeit westdeutscher Frauen und Männer könnte hingegen auf das in der Wirtschaftswunderzeit der 1950er Jahre etablierte Einverdiener-Hausfrauenmodell zurückgehen.“
Korn lehrt Mikroökonomie an der Philipps-Universität. In ihrer Forschung befasst sie sich mit der Frage, wie Institutionen das Verhalten von Entscheidern beeinflussen, insbesondere ihre Bereitschaft zur Kooperation. Seit Frühjahr 2016 amtiert Korn als Uni-Vizepräsidentin für Studium und Lehre.
Beblo hat die Professur für Volkswirtschaftslehre – insbesondere Arbeitsmarkt, Migration, Gender – an der Universität Hamburg inne. Die Ökonomin ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen des Bundesfamilienministeriums.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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