Am Zollamt soll eine Tafel mit einer Kurzinformation aufgehängt werden. Das Schild wird allerdings nur neugierig machen.
Die unterschiedlichen Einschätzungen und Kontroversen rund um das umstrittene 50er-Jahre-Relief über dem Eingang erfordern mehr Platz: Sie sollen deshalb unter www.marburg.de/zollamt nachzulesen sein.
Das ist das Ergebnis einer gut besuchten Podiumsdiskussion des städtischen Fachdiensts Kultur. Rund 50 Gäste verfolgten die Debatte.
„Ich bin heute Abend sehr viel klüger geworden und sehr optimistisch, dass man auch solche heiklen Themen diskutieren kann“, sagte Kulturamtsleiter Dr. Richard Laufner zum Abschluss der Veranstaltung. Die Veranstaltung enthüllte zunächst neue Hintergrundinformationen zu dem Gebäude des Marburger Zollamtes und dem Halbrelief, das rechts zwei Arbeiter aus der Pharma- und der Eisenindustrie sowie links einen Afrikaner und einen Asiaten zeigt.
Nach den Recherchen des Historikers und Kulturamtsmitarbeiters Dr. Christoph Becker stammt das Relief vom mehrfach preisgekrönten Kunsthandwerker, Töpfer und Bildhauer Rolf Weber (1907-1986), der in Kassel-Simmershausen eine Keramikwerkstatt betrieb. Er gründete den Bund hessischer Kunsthandwerker, dessen Vorsitzender er lange Jahre war. Verheiratet war er mit der Waldorfpädagogin Dr. Ellen Weber.
Seine früheren Mitarbeiter schätzen ihn bestenfalls als konservativ, aber nicht als Rassisten ein. Becker erklärt das 1950 entstandene Relief eher mit dem Zeitgeist.
1950 sei die Demontagepolitik erst seit einem Jahr beendet gewesen. Die Lebensmittelrationierung wurde im Mai abgeschafft; und die deutsche Industrie lebte erst gerade wieder auf.
Kaffee und Kakao – die Bohnen werden auf dem Relief gezeigt – gehörten zu den Luxusprodukten, die man den Bürgern zeigen wollte. Darin steckte, so Becker, wenn man es positiv sieht – „ein naives idealistisches Versprechen“.
Dazu passt, dass beim Marburger Zoll damals weder Bananen noch Kakao abgefertigt wurden, wie der langjährige Zollamtsleiter Herbert Losekam erklärte. Der Oberamtsrat außer Dienst hat ein Buch über die Geschichte der mehr als 250 Jahre alten Behörde veröffentlicht.
Seit 1904 ist ihr Sitz in der Ernst-Giller-Straße 2 in der Nähe des Hauptbahnhofs. Allerdings wurde das Gebäude während der wenigen Bombenangriffe auf Marburg im März 1945 fast vollständig zerstört. 1949/50 wurde es dann an der gleichen Stelle wieder aufgebaut.
Dabei besticht vor allem die Innenausstattung mit maßgefertigten Eichenbänken, Schalteröffnungen und schmiedeeisernen Geländern. Heute ist das Gebäude als Einzelkulturdenkmal eingetragen, erläuterte Markus Glöck von der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Marburg.
Wer auf die Idee gekommen ist, das Relief zu installieren und einen Künstler damit zu beauftragen, ist jedoch heute unbekannt. Bis Ende der 90er Jahre habe es keine Kritik am Relief gegeben, berichtete Losekam, der das Zollamt von 1983 bis 1997 leitete. Dann sei die Fassade mehrfach mit den Worten „Kolonialismus“ und „Rassismus“ beschmiert worden.
Prof. Benedikt Stuchtey, der an der Philipps-Universität über Imperialismus und Kolonialismus forscht, erläuterte, dass es in den 20er und 30er Jahren eine kolonialrassistische Stimmung unter dem Stichwort „Volk ohne Raum“ gegeben habe, die auch in der Kunst populär war. Eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte begann erst in den späten 90er Jahren, obgleich Deutschland 1914 das viertgrößte Kolonialreich nach Großbritannien, Frankreich und Russland bildete.
Während der Linken-Stadtverordnete Jonathan Schwarz die Darstellung in einem Antrag kritisiert hatte, der die Keramik über dem Zollamt als Reproduktion von „Klischees über Einwohner des globalen Südens“ und „kolonialer Denkstrukturen“ bezeichnete, meldeten sich dazu in der Diskussion mehrere Kunsthistoriker zu Wort. Christoph Otterbeck, der das Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte leitet, erläuterte, dass es eine lange Bildtradition bei der Darstellung der Erdteile mit einer klaren Hierarchie gebe.
Auf dem Relief stünden spiegelbildlich je zwei Europäer und zwei Exoten. Nackte Oberkörper fänden sich sowohl bei dem Afrikaner als auch bei dem Hüttenarbeiter.
„Das Bild spiegelt uns eine fremde Welt vor, wie wir sie uns in unseren Gedanken vorstellen“, präzisierte Stuchtey. Ausgeblendet werde dabei allerdings, dass Kaffee und Kakao mit Hilfe von Sklaven produziert wurde. „Wir sollten nicht achtlos an dem Relief vorbeigehen, sondern versuchen, es in den Stadtkontext einzuordnen“, sagte Stuchtey.
Für nähere Erläuterungen zum Zollamt und seinem Kunstwerk sprach sich bei der Veranstaltung auch Gerald Weidemann aus. Tafel und Hintergrund mit Inhalt zu füllen, sei allerdings „noch ein Kapitel für sich“, meinte Vorsitzende des Schul- und Kulturausschusses des Stadtparlaments.
Eigentümer des Marburger Zollamts ist das Bundesamt für Immobilienaufgaben. Projektleiter Alexander Wenz berichtete gemeinsam mit Torsten Pfeiffer vom Hauptzollamt Gießen, dass der Zoll-Standort Marburg gesichert ist.
Noch in diesem Jahr soll das Gebäude so saniert werden, dass es barrierefrei wird. Das Zollamt nimmt jedes Jahr 150 Millionen Euro ein.
* pm: Stadt Marburg