Heike Rauch erhielt Ende der 90er Jahre die Diagnose Huntington. Die Erbkrankheit zerstört das Gehirn, erschwert das Bewegen, Sprechen und Schlucken.
Ihr Ehemann Thomas Rauch pflegt sie zuhause. Er kämpft nicht nur für ihre Lebensqualität, sondern auch um Anerkennung und Aufklärung innerhalb der Gesellschaft.
Überbewegung oder Versteifung von Armen und Beinen, Desorientierung, Demenz, Persönlichkeitsveränderungen – Huntington kann viele Symptome haben. Früher war die Krankheit bekannt unter dem Namen Veitstanz. Für die Betroffenen ist besonders belastend, dass Erkrankte wegen ihrer Bewegungs- und Sprachstörungen oft für betrunken gehalten werden.
Als Heike die Diagnose bekam, waren ihre Beschwerden noch gemäßigt. Sie hatte Unregelmäßigkeiten beim Laufen und kleine Muskelticks, beispielsweise im rechten Zeigefinger. Dass es nicht immer so gut bleiben würde, war ihr und ihrem Mann klar.
Ebenso klar war die Entscheidung von Thomas, seine Frau nicht in ein Pflegeheim zu bringen. „Heike braucht heute für ganz normale Dinge oft sehr viel Zeit, die Pfleger nicht haben. Sie bekommt alles in ihrer Umgebung mit, kann sich aber nur schwer verständlich machen. Ich selbst kenne ihre Gesten und Wünsche am besten.“
Einfach ist die Pflege zuhause nicht. Thomas arbeitet im Schichtdienst und muss dann Familienmitglieder, Freunde oder Minijobber organisieren, die sich um Heike kümmern. Seinen Job aufgeben will er nicht, da seine Familie das Geld und das Haus braucht.
Er fürchtet sich vor Arbeitslosigkeit und Altersarmut. „Das geht heute so schnell, vor allem, wenn eine Krankheit mit im Spiel ist. Wir haben zwei Kinder und zwei Enkelkinder, denen wir etwas bieten möchten anstatt ihnen finanziell zur Last zu fallen. Vom Staat wünsche ich mir weit mehr Unterstützung für pflegende Angehörige“, sagte Thomas.
Will das Ehepaar mit der Bahn nach Frankfurt fahren, müssen sie vom Wohnort Cappel erst 30 Minuten mit dem Bus zum Hauptbahnhof, um dann wieder mit dem Zug an Cappel vorbei zu fahren. Der Grund: Der Bahnsteig am Südbahnhof ist für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich. „Die Stadt muss ihre Infrastruktur überarbeiten“, fordert Rauch. „Da ist noch einiges in puncto Barrierefreiheit zu machen.“
Wie man mit Huntington den Alltag meistert und sich vor Krankenkassen oder Behörden behauptet will das Ehepaar Rauch weitergeben. „Die Kraft, die diese Bürokratie kostet, kann man für anderes besser gebrauchen“, sagte Thomas.
20 Jahre Erfahrung mit der Krankheit und ihren Umständen haben ein ungemeines Wissen hervorgebracht. Thomas hat vor 13 Jahren die Leitung der Huntington-Selbsthilfegruppe in Marburg übernommen und mittlerweile auch den Landesvorsitz der Deutschen Huntington Hilfe.
„Als Kranker fühlt man sich in der Gesellschaft leider immer noch als Außenseiter“, erklärte er. Eine Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige biete einen geschützten Raum für Erfahrungsaustausch, Tipps und Fragen. Zum ersten Mal hat das Ehepaar Rauch die Gruppe kurz nach der Diagnose besucht, sich aber noch nicht so richtig wohl gefühlt.
„Wir konnten bei den Treffen sehen, wohin die Reise für Heike gehen würde“, erzählte Thomas. „Wir haben ein paar Jahre ausgesetzt und es dann noch einmal mit der Gruppe versucht. Da hat es dann plötzlich gepasst für uns.“
Er wünscht sich mehr öffentlich zugängliche Informationen über Huntington und vor allem bessere. Im Internet gäbe es einige Seiten, die fehlerhafte oder einseitig negative Informationen verbreiten würden, bemängelte Thomas.
Auch in den Kliniken gäbe es nur wenige gut spezialisierte Ärzte in Deutschland. Betroffene müssten teilweise Tagesreisen für kurze, wenn auch gute, Beratungsgespräche oder Untersuchungen unternehmen. „Auch hier muss die Infrastruktur von staatlicher Seite mehr gefördert werden“, fordert Rauch.
*pm: Saskia Rößner