Tage und Nächte: 75 Stunden Lesung aus der Bibel

Ein christlicher Marathon hat von Mittwoch (29. Oktober) bis Samstag (2. November) in der Elisabethkirche stattgefunden. 75 Stunden lang wurde dort die Bibel gelesen.
Einen Reformationsgottesdienst zu feiern, ist eine Sache. Rund um den Reformationsgottesdienst aber die komplette Bibel von vorne bis hinten zu lesen ist eine ganz besondere Aktion. Die Elisabethkirchengemeinde hatte zu diesem Wort-Marathon eingeladen. Und am Samstag (2. November) um 21.48 Uhr war es geschafft nach fast 75 Stunden und mit der Hilfe von vielen freiwilligen Lesenden und vor den Augen und für die Ohren vieler begeisterter Besucherinnen und Besucher.
Ein Gongschlag ertönte am Mittwoch (29. Oktober) um 19 Uhr. Dann trat Judith Otterbach als erste ans Lesepult im Altarraum der Elisabethkirche und begann, zu lesen: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Nach einer halben Stunde kam die erste Ablösung. In diesem Takt ging es –
drei Nächte und drei Tage hindurch – weiter. Genesis und die Erschaffung der Welt, die Psalmen, die Evangelien, buchstäblich Ostern und Weihnachten zusammen.
„Was für ein besonderes Erlebnis“, resümierte Pfarrer Matti Fischer, der die Idee zu diesem Projekt hatte. Schlaf hat er wenig bekommen während dieser Zeit, aber er habe gerade die Nächte besonders genossen, erzählte er.
„Wunderbar, wenn um ein Uhr früh eine Horde von Studenten mit Schlafsäcken und Thermoskannen in der Elisabethkirche einfällt und sie zu ihrem Raum macht für die Stunden der Nacht“, freute er sich. „Davon gerne mehr!“ Sowohl die Katholische Hochschulgemeinde als auch die Evangelische Studierendengemeinde hatte „Nachtwachen“ übernommen.
Natürlich waren auch ein paar „Profis“ in Sachen Bibellesung dabei. Dazu ihnen zählte Propst Dr. Volker Mantey, der extra seine Bibel auf Plattdüütsch mitgebracht hatte, um auch ein paar Minuten „in der Sprache des Herzens“ zu lesen. Aber es gab genauso Freiwillige, „“ie nicht wussten, ob ihre Stimme trägt“, wie Pfarrer Fischer berichtete.
Viele hatten mit den Namen von Orten, von Königen, Schwestern und Brüdern zu kämpfen. „Aber alle sind durchgekommen und haben diese Menschen, von denen da vor Jahrhunderten, Jahrtausenden geschrieben wurde, wieder kurz lebendig gemacht.“ Genau darin lag der Zauber dieser Tage und Nächte: Dass die Bibel ganz neu und ganz anders zum Leben erweckt wurde und verschiedenste Menschen ihr ihre Stimme geliehen haben. Die Freiwilligen kamen aus der Elisabethkirchengemeinde, aus anderen Gemeinden in Marburg und Umgebung, aus der katholischen Kirche und den Freikirchen und auch aus anderen Städten.
Das ist der Punkt, an dem das Projekt an die Reformation anknüpft: Ein wesentlicher Aspekt sei das Anliegen Martin Luthers gewesen, dass nicht nur Gelehrte, sondern alle Menschen die Bibel in Gebrauch nehmen können, erklärte Fischer.
Die Elisabethkirche war ohne die sonst gewohnte Bestuhlung in diesen Tagen und Nächten. Schaukelstuhl und Sitzsäcke, Liegestühle und andere Sitzgelegenheiten waren im Raum verteilt und luden die Besucherinnen und Besucher ein, ganz gemütlich und so lange zu verweilen, wie sie eben wollten.
„Das ist so toll“, sagte ein kleines Mädchen und schaute ins Deckengewölbe. Kurz vor Beginn der Lesung wollte sie es sich kurz mit einer Decke auf einer Liege bequem machen. „Darf ich?“ Natürlich durfte sie. Den Kirchenraum auf außergewöhnliche Art und Weise für sich zu entdecken, war Teil des Konzepts.
Auch wenn das ganze „“onstop-Bibellesung“ betitelt worden war – es wurden Stopps eingelegt. Nämlich am Donnerstag für das Mittagsgebet und am Freitag Abend für den großen Reformationsgottesdienst des Kooperationsraums, den Dekan Dr. Burkhard von Dörnberg gestaltete. Beides wurde gewissermaßen in die Lesung integriert und in der Nacht zum Samstag brannte dann das Kreuz aus Kerzen, das im Gottesdienst gelegt worden war.
Rund 80 Freiwillige waren an der Lesung beteiligt und weil er von vielen Menschen – Lesenden ebenso wie Zuhörenden – angesprochen wurde, ob es nicht eine Sammlung der Erfahrungen gebe, soll die im Nachgang nun noch entstehen, erzählte Fischer. Ein ganz besonderer Moment für ihn sei die Lesung eines jungen Mannes gewesen, der schon zwei Stunden vor seinem Termin da gewesen sei und vor Nervosität kaum habe stillsitzen können: „Und dann liest er die Geschichte von David und Goliath mit so einer Wucht und urtümlichen Kraft, dass es uns allen die Schuhe auszieht!“

* pm: Evangelischer Kirchenkreis Marburg

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