Neue Andachtsgestaltung: Besonderer Gottesdienst für chronisch Erschöpfte

Ein „Gottesdienst in sanften Tönen“ verzichtet auf Orgelklänge und Chorgesang. Vielmehr bietet er Gemeinschaft für Menschen mit Chronischer Erschöpfung.
Was für die meisten nach einem gelungenen Gottesdienst klingt, ist für Menschen, die unter ME/CFS leiden, eine massive Reizüberflutung. Licht und Geräusche, aber auch längeres Sitzen bedeutet für viele Betroffene eine Qual. Für diese Menschen haben Mitglieder des kirchlichen Start-Ups „UND Marburg“ und Pfarrerin Annika Wölfel von der Marburger Markusgemeinde einen Gottesdienst der anderen Art konzipiert.
„Wir wollen einen Schutzraum bieten“, sagen die Organisatoren des „Gottesdienstes in sanften Tönen“. Damit meinen sie Schutz vor Überforderung, vor zu viel Input und auch vor dem Gefühl, sich erklären oder entschuldigen zu müssen. „Auch Menschen mit Erkrankungen wie ME/CFS sollen die Möglichkeit haben, Gott und Gemeinschaft zu erfahren“, erklärt Martin Rimbach von „UND Marburg“.
Diese Abkürzung steht für „Myalgische Enzephalomyelitis“ und das „Chronische Fatigue-Syndrom“. Das ist eine Erkrankung, bei der die Betroffenen chronisch erschöpft sind. Das ist nichts, was sich mit ein paar Stunden mehr Schlaf, mit etwas Überwindung oder einer Hühnersuppe wieder in den Griff bekommen lässt.
Betroffene sind oft nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Eine internationale Bewegung hat mit dem Hashtag „millions missing“ (Millionen fehlen) zum Ziel, eben auf die Millionen Menschen weltweit aufmerksam zu machen, die aufgrund ihrer Erkrankung im Job und im Leben plötzlich fehlen. Auch Symptome wie Schwindel, Blutdruckschwankungen oder Schmerzen können auftreten. Stoffwechsel, Immun- und Nervensystem sind fehlreguliert.
Rimbachs Frau Joana hat die Erkrankung als Folge von Post-Covid – und es vergingen fast zwei Jahre, bis die Diagnose tatsächlich feststand. Ihr Leben hat sich komplett verändert. Oft fehlt die Kraft, auch nur ein Telefonat zu führen. Weil sie den Besuch eines Gottesdienstes so sehr vermisst, haben sie und ihr Mann an der Erstellung eines entsprechenden Konzepts mitgearbeitet.
„Ich empfinde mich relativ privilegiert, weil ich viel Unterstützung habe und gut mit der Erkrankung umgehen kann“, sagt Joana Rimbach. „Einen Raum zu schaffen auch zu diesem Thema, hilft vielleicht anderen, die keine Stimme haben, die sich nicht bemerkbar machen können.“
Dass Menschen einen Platz finden, die sonst keinen Platz haben, sei von Anfang an auch in anderen Belangen ein Anliegen des Start-Ups „UND Marburg“ gewesen, ergänzt Rimbach. Die Gottesdienste, die alle zwei Wochen im Lokschuppen stattfinden, sind aber eher laut und bunt angelegt. Wie kann man es leiser, weniger fordernd, weniger anstrengend gestalten, war die Frage. Nicht nur für Menschen mit ME/CFS, sondern zum Beispiel auch für Hochsensible oder Menschen aus dem autistischen Spektrum. Wie – und auch wo.
Der Kirchenraum der Markusgemeinde in der Marbach erwies sich als hervorragend geeignet für dieses Konzept: Er ist barrierefrei auch mit dem Rollstuhl erreichbar. Der Altarraum ist groß genug, um mehrere Liegemöglichkeiten zu schaffen.
Egal, ob man liegen, sitzen, stehen oder sich bewegen möchte: Jeder darf tun, was ihm oder ihr eben gut tut. „Und alle dürfen kommen, wie sie sind und wie sie sich wohlfühlen – das kann auch in der Jogginghose sein“, sagt Pfarrerin Wölfel. „Wir wollen vermitteln, dass alle von Gott gesehen werden, wie sie sind und so mit ihm in Kontakt kommen können.“
Wer seine Isomatte oder eine Heizdecke mitbringen möchte, darf auch das. Es werden Decken ausgelegt, die Beleuchtung kommt von Kerzen. Die Uhrzeit ist bewusst gewählt, wenn es nicht mehr ganz so hell ist, erklären die Organisatoren. Wölfel und Christian Graß von „UND Marburg“ werden den Gottesdienst gemeinsam gestalten und dabei auf großen Yoga-Kissen vor dem Altar sitzen auf Augenhöhe mit den Besucherinnen und Besuchern.
Für den eigentlichen Teil des Gottesdienstes ist eine halbe Stunde vorgesehen. Diese Zeitspanne haben die Betroffenen, mit denen sie Kontakt hatten, als – für sie machbar angegeben, berichtet Wölfel. Wohldosiert kommen Elemente eines „normalen“ GottesdienstesFürbitten, ein Tagesgebet und ein Segen – zum Einsatz.
Bei der Musik wird es nur zwei Lieder zum Mitsingen geben. Marlon Becker sorgt für meditative Klänge an einem Saiteninstrument. Und die Predigt ist keine klassische Predigt, sondern eine Traumreise, bei der man sich entspannen kann.
Nach diesem ersten Teil wird es eine kleine Pause geben. Wer danach noch genug Kraft und Konzentration hat, darf noch ein wenig länger bleiben zu Musik und Atemübungen, bei denen es dann aber keine theologischen Impulse mehr geben wird. Los geht es am Samstag (29. März) um 16 Uhr in der Markuskirche Marbach am Bienenweg.

* pm: Evangelischer Kirchenkreis Marburg

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