Vorsorge aus Vorsicht: Marburg-Virus soll bei Bekämpfung künftiger Pandemien helfen

Ein Forschungsverbund entwickelt antivirale Therapien für neu auftretende Viren. Zur besseren Pandemievorsorge startet das EU-Projekt „COMBINE“.
Da sich Viruserkrankungen voraussichtlich immer schneller und weiter ausbreiten werden, ist die Vorbereitung auf mögliche zukünftige Pandemien von entscheidender Bedeutung. Eine solide Pandemievorsorge rettet nicht nur Leben bei Ausbrüchen, sondern schützt auch die Wirtschaft, erhält das soziale Gefüge aufrecht und stärkt die Widerstandsfähigkeit globaler Systeme. Das neue EU-Projekt „Comparative Signature of Marburg Virus Cell Activation as a Blueprint for the Identification of Antiviral Targets against Newly Emerging Viruses“ (COMBINE) geht davon aus, dass es für die Bekämpfung neu auftretender Infektionskrankheiten von entscheidender Bedeutung ist, zu verstehen, wie Viren ihre Wirtszellen infizieren.
Das Projekt soll das Verständnis dafür verbessern, wie Viren in Zellen eindringen, und dabei das „Marburg-Virus“ (MARV) als Modell verwenden. Außerdem soll eine Blaupause für die Identifizierung neuer Ziele für antivirale Strategien erstellt werden. Das wäre ein entscheidender Eckpfeiler der Pandemievorsorge.
„COMBINE“ wird vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig koordiniert. Das Projekt bringt sieben Partner aus fünf europäischen Ländern zusammen. Von der Philipps-Universität ist das Institut für Virologie mit Dr. Nadine Biedenkopf beteiligt.
Das Projekt wird in den nächsten fünf Jahren über das Rahmenprogramm „Horizon Europe“ für Forschung und Innovation von der Europäischen Union mit insgesamt 7,2 Millionen Euro gefördert. Rund eine Million Euro gehen dabei an das Teilprojekt der Virologin Biedenkopf.
Jede Virusinfektion beginnt mit der Anheftung des Virus an die Wirtszellen und der anschließenden Aktivierung zellulärer Rezeptoren. Daher konzentriert sich COMBINE auf den entscheidenden Virus-Zell-Bindungsschritt und zielt darauf ab, die beteiligten Faktoren und potenzielle therapeutische Ziele zu identifizieren, die in frühe Stadien von Virusinfektionen involviert sind.
„Wir werden eine Kombination aus innovativen Ansätzen anwenden, um die Signatur der Virus-Zell-Aktivierung zu identifizieren, die Mechanismen der Virusbindung und des Viruseintritts zu charakterisieren und neuartige Inhibitoren und Impfstoffkandidaten zu entwickeln“, erklärte Projektkoordinator Prof. Christian Sieben. „Unter Verwendung des Marburg-Virus als hochpathogenes BSL-4-Modellvirus bietet dieser neuartige Ansatz einen umfassenden Einblick in den Viruseintrittsprozess, wobei zwischen der anfänglichen Anheftung und der anschließenden zellulären Aktivierung und Internalisierung unterschieden wird.“
Sieben ist Leiter der Forschungsgruppe „Nanoinfektions“. Biedenkopf leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Virologie der Philipps-Universität und widmet sich der Erforschung von Transkriptions- und Replikationsstrategien von hochpathogenen Ebola- oder Marburg-Viren. Im Konsortium COMBINE untersucht sie in einem vergleichenden Ansatz die Anfänge einer Marburg-Virus-Infektion von dessen Bindung bis Eintritt in die infizierte Zelle.
„Unser Ziel ist es, den Fingerabdruck, den das Marburg-Virus in der infizierten Zelle hinterlässt, zu untersuchen und zu verstehen“, sagte die Forscherin. „Wir hier in Marburg tragen mit Untersuchungen zu Marburg-Virus-Infektionen unter den höchsten Sicherheitsbedingungen in unserem BSL4-Labor sowie mit unserer Expertise zu Marburg-Virus-spezifischen Modellsystemen zum Gesamtprojekt bei und sind daher mit allen europäischen Projektpartnern eng vernetzt. Die verschiedenen experimentellen Plattformen, die wir im Rahmen von COMBINE europaweit entwickeln, werden auch für die Untersuchung künftiger Erreger der höchsten Sicherheitsstufe (BSL4) relevant sein.“
Mit dem COMBINE-Ansatz will das Team die fundamentale präklinische Grundlage für die weitere Entwicklung spezifischer Anti-MARV-Medikamente und optimierter MARV-Impfstoffe schaffen. „Mit COMBINE wollen wir einen nachhaltigen Beitrag leisten, indem wir die vorzeitige Sterblichkeit und die Belastung des Gesundheitssystems durch das Marburg-Virus durch neuartige Behandlungen und optimierte Impfstoffe verringern“, betonte Sieben. „Unsere Arbeit wird jedoch nicht nur die globale virologische Gemeinschaft mit neuen Instrumenten und Erkenntnissen stärken, sondern auch die Pandemievorsorge verbessern, indem sie sich mit den Gesundheitsgefahren befasst, die vom Marburg-Virus und anderen neu auftretenden Viruserkrankungen ausgehen.“
Das Projekt wird nicht nur entscheidende Erkenntnisse über den Zelleintritt von MARV liefern, sondern auch eine innovative experimentelle Pipeline zur Identifizierung und Bekämpfung von Proteinen entwickeln, die am Anheftungsprozess des Virus beteiligt sind. Das ist ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Virusausbrüchen. COMBINE strebt die Schaffung eines vielseitigen, anpassungsfähigen Bauplans an, der länderübergreifende Kooperationen zur Entwicklung neuartiger Medikamente und Impfstoffe gegen neu auftretende Viren erleichtert. Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Forschungsarbeiten werden daher nicht nur das Wissen über den Zelleintritt des Marburg-Virus und die therapeutischen Möglichkeiten erweitern, sondern auch eine Technologie-Pipeline schaffen, die schnell auf andere neu auftretende Viren angewendet werden kann. Dadurch werden die globale Gesundheitssicherheit und die Vorbereitung auf künftige Pandemien gestärkt.
Neben COMBINE ist die Virologie der Philipps-Universität auch an weiteren Projekten des Förderprogramms „Horizon Europe“ der Europäischen Union beteiligt. So forscht beispielsweise Dr. Thomas Strecker im Projekt „DEFENDER“ an molekularen und zellulären Infektionsmechanismen von Lassa-Viren in menschlichen Zellen. Und die Virologin Dr. Eva Friebertshäuser unterstützt im Projekt „VIGILANT“ die Entwicklung antiviraler Breitbandmedikamente.
Das Marburg-Virus ist – wie das Ebola-Virus, das zur Familie der Filoviren gehört – ein hochansteckender und tödlicher Erreger mit erheblichem epidemischem Potenzial. Das Virus kommt in Flughunden vor, die in Afrika weit verbreitet sind, und kann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Darüber hinaus ermöglicht die Inkubationszeit des Virus, die zwischen zwei und 21 Tagen liegt, eine potenzielle stille Übertragung durch Personen, die noch keine Symptome aufweisen, was die Bemühungen zur Eindämmung von Ausbrüchen weiter erschwert.
Aufgrund der jüngsten wiederkehrenden Ausbrüche des Marburg-Virus, auch in zuvor nicht betroffenen Ländern, in Verbindung mit dem Fehlen eines zugelassenen Impfstoffs oder einer spezifischen antiviralen Behandlung und der hohen Letalität des Virus besteht weiterhin ein erhebliches klinisches und gesellschaftliches Interesse an der Entwicklung geeigneter antiviraler Medikamente. Untersuchungen zu Marburg-Virus sind nur in Laboren der höchsten Sicherheitsstufe möglich. Eines von wenigen dieser sogenannten „BSL4-Labore“ befindet sich an der Philipps-Universität.

* pm: Philipps-Universität Marburg

Kommentare sind abgeschaltet.