Vollmundige Vollpfosten: Ein betrübter Abgesang auf die gute alte FDP

Was ist nur geworden aus der guten alten FDP? Einst stand diese Partei für Erneuerung und freigeistige Debatten. Doch das ist leider lange her.
Zu Zeiten, als Prof. Dr. Luise Berthold und Dr. Burkhard Hirsch in der Marburger Kommunalpolitik über öffentliche Toiletten am Rudolphsplatz diskutierten, war die FDP noch eine Ansammlung freier Geister, die damals freilich auch die verbliebenen Altnazis in der eigenen Partei bekämpfen mussten. Das „F“ im Parteinamen stand damals noch für die Freiheit des Geistes und nicht – wie seit den 80er Jahren bereits – für die Freiheit des Kapitals von staatlicher Regulation. Noch in den 90er Jahren setzte sich Dr. Gisela Babel aus Marburg in der FDP für Soziale Gerechtigkeit ein und fand bundesweit – wenn auch nur geringes – Gehör, was in der FDP unter Christian Lindner heute vollkommen undenkbar wäre.
Zu einer neoliberalen Propagandalobby ist die FDP spätestens Ende der 90er Jahre verkommen, als die Altvorderen entweder ausstarben oder sich zurückzogen aus der aktiven Parteipolitik. Eine Autolobby kommt seither unter dem Namen einer einst ehrwürdigen partei daher, deren Minister sich vehement für sogenannte „E-Fuels“ starkmachen und ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen trotz nachweislicher Effekte für Umweltschutz und Verkehrssicherheit kategorisch ablehnen. Ewig gestrige Propagandisten der – in der Wirtschaftswissenschaft zu Recht längst in Misskredit geratenen –
Ideologie von Prof. Dr. Anton Hajek lassen die ungeliebte Ampel-Koalition zur Unzeit über die Klinge springen, weil sie sich aus ihrem Scheitern Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl versprechen.
Nicht nur bei den jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland musste die FDP herbe Verluste hinnehmen. Ihr großsprecherischer Vorsitzender Christian Lindner konnte fast keinen von seinem neoliberalen Geschwätz überzeugen. Nun sucht das Großmaul sein Heil in der Flucht nach vorn.
Absprachen und Koalitionsvertrag gelten ihm nichts, denn die alte Kaufmannsregel „Pacta sunt servanda“ schränkt ja seine Freiheit ein, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Die Mehrheit der FDP hängt indes an seinen Lippen, weil sie sich berauscht hat an seinem hohlen Gerede von angeblicher „Freiheit“ als der Freiheit des Individuums und der Wirtschaft von staatlicher Kontrolle. Wie die Republikaner in den Vereinigten Staaten ihre „Parteiseele“ an den Egomanen Donald Trump verkauft haben, so hat auch die FDP ihre Seele an den Teufel erkauft, der da Neoliberalismus predigt und immer wieder „Ich, ich, ich!“

* Franz-Josef Hanke

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