Ein mitreißendes Konzert mit der Jenaer Philharmonie unter der Leitung von Simon Gaudenz präsentierte der Marburger Konzertverein am Samstag (12. Oktober) im Erwin-Piscator-Haus (EPH). Der renommierte Violinist Michael Barenboim trat als Solist auf.
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Der Abend eröffnete mit der sprühenden „Karneval-Ouvertüre“ von Anton Dvořák. Das Stück begann voller Brisanz mit einem kraftvollen Orchestertutti und dem schmetternden Klang der Becken. Sofort zog das Orchester das Publikum in seinen Bann. Die mitreißende Melodik strahlte pure Lebensfreude aus. Sie erzeugte eine heitere, ausgelassene Stimmung im Saal. Diese besondere Atmosphäre ergriff sowohl die Musikerinnen und Musiker als auch das Publikum. Ganz im Einklang mit der Overtüre verkörperte der Auftritt des Orchesters pure Freude in all ihren Facetten: Freude am Leben, Freude an der Musik und Freude an diesem besonderen Abend.
Gaudenz dirigierte mit eleganter Zugewandtheit und großer Souveränität. Seine Leidenschaft und der enge Kontakt zu den Musizierenden schufen eine spürbare Chemie zwischen Orchester und Dirigenten. Das Zusammenspiel des Orchesters zeugte von großer Vertrautheit. Die Musiker*innen agierten auf höchstem professionellen Niveau. Sie schienen perfekt aufeinander abgestimmt zu sein. Besonders auffällig war der strahlend warme und volle Klang des Orchesters. Er vereinte sowohl kraftvolle Intensität als auch ausschweifende Musikalität mit viel Gefühl. Ein leises „wow“ raunte durch die Reihen. Der langanhaltende Applaus bezeugte die überwältigende Wirkung des Stücks.
Im Anschluss folgte Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert in D-Dur. Korngold wurde insbesondere mit seinen überaus erfolgreichen Filmmusikkompositionen in Hollywood bekannt. Mit diesem Violinkonzert wollte der österreichisch-jüdisch-amerikanische Komponist zu den Wurzeln der klassischen Musik zurückfinden.
Das Violinkonzert entfaltet Korngolds spätromantisch-nostalgischen Stil in voller Pracht. Die Nähe zu Hollywood bleibt dabei unübersehbar: Durch die geschickte Einarbeitung von Themen aus seinen berühmten Filmmusiken kreierte Korngold ein außergewöhnlich schönes Werk. Es fasziniert mit einer cineastischen Atmosphäre und musikalischer Intensität. Die schwelgerischen Klänge und wunderschönen Melodien schienen regelrecht süchtig zu machen. Sie ließen so manches Zuschauerherz im Saal schmelzen.
Das anspruchsvolle Violinkonzert bot dem Solisten zahlreiche Gelegenheiten, seine Virtuosität eindrucksvoll zu demonstrieren. Barenboim – Sohn des legendären Daniel Barenboim und Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra – nutze diese meisterhaft. Er beeindruckte mit einem intensiven und tiefgründigen Spiel. Sein Klang war getragen von viel Vibrato: voller Bestimmtheit, warm und kraftvoll. Zugleich jedoch auch sanft und hingebungsvoll. Seine große Virtuosität und technische Brillanz standen darüber hinaus nie im Widerspruch zur Musikalität.
Als Künstler präsentierte sich Barenboim auf ganzer Linie. Seine Aufführung wurde zu einem Gesamtkunstwerk aus Mimik, Gestik und körperlichem Ausdruck. Seine starke Bühnenpräsenz und große Publikumswirkung waren unverkennbar. Er schien den Augenblick voll und ganz zu genießen.
Ein Höhepunkt des Abends war zweifellos Barenboims Zugabe. Sie überzeugte selbst die kritischsten Zuhörenden von seiner Virtuosität und großen Kunstfertigkeit. Mit atemberaubenden Klängen, Doppelgriffen und mehrstimmigen Melodieführungenn – alles auf nur einer Geige – entfachte er ungläubiges Staunen im Saal. Das Publikum war begeistert und belohnte ihn mit tosendem Applaus.
Nach der Pause beeindruckte die Jenaer Philharmonie mit Béla Bartóks Konzert für Orchester. Das Werk stellt das gesamte Orchester als virtuos agierendes Ensemble in den Mittelpunkt. Damit bricht es mit der klassischen Form des Solokonzerts. Es besticht durch seine Vielschichtigkeit und bietet einen musikalischen Genuss. Die kontrastreichen Sätze gaben dem Orchester reichlich Gelegenheit, seine klangliche Vielfalt und große Bandbreite zu entfalten.
Bartóks Werk bietet verschiedenen Instrumentengruppen die Möglichkeit, solistisch virtuos zu brillieren. Besonders beeindruckend waren wunderschön ausgespielte Passagen der Holzbläserinnen und Holzbläser. Und auch die atmosphärischen Choralpassagen des Blechs setzten besondere musikalische Höhepunkte. Das Konzert fasziniert mit seiner Vielzahl von Themen und musikalischen Ideen. Das Orchester setzte diese meisterhaft um und hielt das Publikum in gespannter Erwartung.
Gaudenz führte das Orchester mit präziser Klarheit und entlockte ihm eine hervorragende Darbietung. Seine tänzerisch-leichten Bewegungen wirkten mühelos und charmant. Seine authentische Ausstrahlung und spürbarer Leidenschaft zeugten von Können und Hingabe. Das Orchester strahlte eine beeindruckende Professionalität und Selbstsicherheit aus. Es bot eine ausgereifte und überzeugende Performance. Der Abend fand mit einer doppelten Zugabe seinen krönenden Abschluss.
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Abend mit der Jenaer Philharmonie ein lebendiges Musikerlebnis bot. Die Worte des Dirigenten – „Wir genießen es, für Sie zu spielen“ – fassen die Atmosphäre des Abends perfekt zusammen. Auch die begeisterten Reaktionen des Publikums spiegelten die Stimmung wider. Die gelungene Inszenierung und die erstklassigen Leistungen der Musiker*innen verkörperten wahre Orchesterkunst auf höchstem Niveau.
* Leonie Schulz