„I got Rhythm.“ Der Titel eines bekannten Songs von George Gershwin könnte auch das Motto der Kommunalpolitik in Marburg sein. Bereits zum dritten Mal begrüßte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies am Sanstag (20. Januar) die Gäste zum Neujahrsempfang der Stadt.
Mit einem Stück von Aram Chatschaturjan und dem Klassiker von Gershwin begrüßte die Pianistin Nelly Endres die rund 1.000 geladenen Gäste. Seit 2009 besucht sie die Klavierklasse von Charlotte Schmidt-Schön an der Musikschule Marburg. 20017 belegte die damals 13-jährige Schülerin den zweiten Platz beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“.
Sie sei nicht die erste erfolgreiche Schülerin der Marburger Musiklehrerin, freute sich Spies. Regelmäßig sorge sie dafür, dass er erfolgreiche junge Musiker aus Marburg zu der Veranstaltung einladen könne.
Kultur habe einen hohen Stellenwert in der Stadt, fuhr Spies weiter fort. Deshalb wolle der Magistrat auch ein Programm auflegen, das bewährten Kultur-Aktivisten aus den Kulturzentren Café Trauma, German Stage Service, Waggonhalle und KFZ eine Rente oberhalb der Armutsgrenze sichert, die diese Einrichtungen jahrzehntelang mit viel Engagement und Selbstausbeutung aufgebaut haben.
Soziale Verantwortung zeige die Stadt auch bei der Kinderbetreuung. Wenn das Land Hessen mit seinem Versprechen einer Kostenübernahme von sechs Stunden Betreuung in Kindertagesstätten die Grundlage dafür schaffe, wolle die Stadt die Gebühren für diese Einrichtungen vollständig streichen.
„Offenbar hat der Klapperstorch einen guten Blick dafür, wo es gute Kinderbetreuung gibt“, scherzte Spies. Erfreulicherweise seien auch 2017 –
wie bereits im Vorjahr – deutlich mehr Kinder geboren worden als in den Jahren zuvor.
Auch Bildung sei deshalb ein Kernanliegen des Magistrats, betonte Spies. Beim Bau von Schulen und dem Ausbau ihrer Einrichtungen seien im abgelaufenen Jahr erstmals zwei Projekte aus dem Bildungsbauprogramm (BiBaP) fertiggestellt worden. 2018 stünden weitere neun Vorhaben auf der Agenda.
Die Lebensqualität in Marburg umfasse gerade die Bereiche Kultur, Bildung und die soziale Verantwortung. Das habe auch die Umfrage festgestellt, die der Magistrat im Rahmen der Bürgerbeteiligung in Auftrag gegeben hatte. Danach seie die übergroße Mehrheit der Befragten sehr zufrieden mit ihrer Stadt, wobei Cappel und Marbach vor der Kernstadt und auch die Innenstadt noch vor den Außenstadtteilen rangierten.
„Heimat“ wolle er nicht den Rechtspopulisten überlassen, bettonte Spies unter großem Applaus mit Verweis auf einen Text von Kurt Tucholsky zu diesem Thema. „Patriotismus sei seine Sache nicht, hatte der Dichter erklärt, wohl aber die Liebe zur Heimat und den Menschen, die das Leben hier gemeinsam gestalteten.
Ein Heimatlied über Marburg trugen anschließend der Chor „Joy of Life“ der Kurhessischen Kantorei und der „Alte-Mensa-Chor“ unter der Leitung von Jean Kleeb vor. Der seit Jahrzehnten in Marburg beheimatete Deutschbrasilianer hatte das Volkslied aus der Epoche der Romantik modern arrangiert und in verschiedene Lieder aus Afrika und Lateinamerika eingebettet.
Mit einem Test versuchte Spies dann, die Umfrage der Stadt im Saal zu wiederholen: Mit ihren Smartphones konnten die Anwesenden im Erwin-Piscator-Haus (EPH) über bestimmte Fragen abstimmen. Das Ergebnis zeigte die Software einer Marburger Firma dann in Formen von Diagrammen auf einer Leinwand hinter der Bühne.
Ebenso unentschieden wie bei der Bürgerbefragung ging auch im Saal die Frage nach der Verkehrspolitik aus. Alle wünschten sich einen besseren Öffentlichen personennahverkehr (ÖPNV), während sich die Geister bei der Priorität für den Auto-, Fahrrad- oder Fußverkehr schieden.
Auf jeden Fall werde es in Marburg keine U-Bahn geben, verkündete Spies. Zufrieden zeigte er sich mit der Bereitschaft der Marburger Busfahrer, ein Demenztraining durchzuführen. Was bei den Stadtwerken Marburg (SWM) völlig problemlos möglich war, das sei anderenorts keine Selbstverständlichkeit, berichtete der Oberbürgermeister erfreut.
Alte Menschen würden in Marburg nicht alleingelassen, erklärte der Oberbürgermeister. Gegenseitige Rücksicht sei allerdings nicht etwas, was man einfordern könne, sondern eine Haltung, die die Menschen in Marburg bereits seit Langem verinnerlicht hätten.
Am Ende entließ Spies die Gäste zu Gesprächen im Saal, die allerdings von lauter Rock´n-Roll-Musik massiv erschwert wurden. Auch die Häppchen waren ideenlos, qualitativ eher mäßig und vor allem viel zuwenig für die vielen Besucher des Neujahrsempfangs. Wenigstens bei der Zahl der Sitzgelegenheiten und dem Einsatz einer Gebärdensprachdolmetscherin bewegt sich die Stadt schon in die richtige Richtung.
* Franz-Josef Hanke