Ein wichtiges Kriterium für die Medikamentenwahl haben Forschende an der Philipps-Universität entdeckt. Sie fanden heraus, warum ein innovatives Krebsmedikament bei manchen Patienten nicht wirkt.
„Asciminib“ ist ein neues effektives Medikament für Patientinnen und Patienten mit einer Form von Blutkrebs. Doch bei der Chronisch Myeloischen Leukämie schlägt es nicht bei allen Menschen an. Den Grund dafür haben Prof. Oliver Hantschel und Inga Leske von der Philipps-Universität nun mit einer Studie herausgefunden: Seltene Varianten des krebsauslösenden Proteins sind resistent gegen das Medikament.
Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, vor Therapiebeginn zu untersuchen, welche Varianten des Krebsproteins vorliegen. Die Chronisch Myeloische Leukämie (CML) ist ein seltener Blutkrebs, bei dem sich bestimmte weiße Blutkörperchen unkontrolliert vermehren. Grund ist ein Protein in Zellen des Knochenmarks, das bei gesunden Menschen nicht auftritt. Es heißt „BCR-ABL1“ und kommt in acht Varianten vor, die unterschiedlich lang sind.
Ende 2022 wurde Asciminib als hochspezifisches Medikament zur CML-Behandlung zugelassen, da es das Protein BCR-ABL1 sehr gut und mit geringen Nebenwirkungen hemmt. Allerdings gab es bald Berichte aus der Klinik, dass manche Patientinnen und Patienten schon bei der ersten Behandlung mit Asciminib nicht auf das Medikament ansprechen.
Hantschel beschäftigt sich bereits seit seiner Doktorarbeit mit BCR-ABL1. Er vermutete, dass die Resistenz gegenüber Asciminib an den Varianten des Krebsproteins liegen könnte. Eine Analyse der Zulassungsstudie von Asciminib ergab: Sie wurde nur mit den beiden häufigsten BCR-ABL1-Varianten durchgeführt.
„Das Medikament wurde trotzdem für alle Varianten des Proteins zugelassen, da es damals keine Hinweise gab, dass es bei einigen nicht wirksam sein könnte“, erklärte Hantschel. Zusammen mit seiner Doktorandin Inga Leske zeigte Hantschel nun aber, dass Asciminib bei zwei seltenen Varianten des BCR-ABL1-Proteins nicht wirksam ist. Grund ist ein fehlender Proteinabschnitt, ohne den Asciminib BCR-ABL1 nicht blockieren kann. Auch höhere Dosen helfen nicht, diese Resistenz zu überwinden.
Momentan können Ärztinnen und Ärzte Asciminb einsetzen, wenn bereits zwei andere Krebsmedikamente versagt haben. Ab Herbst 2024 wird erwartet, dass das effektive Präparat auch als erste Behandlungsoption direkt nach der Diagnose einer CML zugelassen wird.
„Diese erweiterte Zulassung bedeutet, dass eine steigende Anzahl an Patienten mit Asciminib behandelt werden, die resistente Varianten aufweisen“, erläuterte Hantschel. „Deren Behandlung wäre damit unwirksam und die Erkrankung könnte ungebremst voranschreiten, was die weitere Therapie erschwert und tödlich enden kann.“
Daher sei sehr wichtig, vor Therapiebeginn die Proteinvariante zu identifizieren. Die beiden verkürzten BCR-ABL1-Varianten treten bei etwa einem Prozent der CML-Fälle auf und betreffen jährlich schätzungsweise 500 bis 1.000 Menschen in Europa.
In früheren Forschungsprojekten entdeckte Hantschel, wie BCR-ABL-1 reguliert wird. Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelte Novartis das Medikament „Asciminib“.
Im menschlichen Körper gibt es nur zwei Proteine mit diesem Regulationsmechanismus. Sie heißen „ABL-1“ und „ABL-2“. Dadurch ist Asciminib hochspezifisch und verursacht wesentlich weniger Nebenwirkungen als herkömmliche Medikamente gegen BCR-ABL1, die auch andere wichtige Proteine im Körper hemmen. „Die gute Verträglichkeit von Asciminib ermöglicht eine langfristige nebenwirkungsarme Behandlung und sorgt auch dafür, dass die Patientinnen und Patienten das Medikament regelmäßig und in der verordneten Dosierung einnehmen“, erklärte Hantschel.
Die Philipps-Universität zählt mit dem University Cancer Center Frankfurt-Marburg zu dem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Netzwerk Onkologischer Spitzenzentren, die eine individualisierte Behandlung nach aktuellem Wissensstand ermöglichen sollen. Im Forschungsschwerpunkt Tumorbiologie arbeiten Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen zusammen.
Hantschel und sein Team untersuchen auch Mechanismen der erworbenen Resistenz, die dazu führen, dass ein zunächst funktionierendes Medikament im Verlauf der Behandlung nicht mehr wirkt. Oft liegt das an kleinen Veränderungen im Erbgut, die die Bindung des Wirkstoffs an das krebsauslösende Protein schwächen. Die Marburger Forschergruppe will nun herausfinden, was man diesen Resistenzen entgegensetzen kann.
* pm: Philipps-Universität Marburg