Ein Marburger Forschungsteam beleuchtet, wie Nervenzellen Netzwerke bilden. Zellskelett-Gene regulieren Vernetzung im Säugerhirn.#
Ein Molekülpaar zu trennen, hat Auswirkungen auf das Networking im Hirn: So lässt sich zusammenfassen, was eine Marburger Forschungsgruppe jetzt über die Vernetzung von Nervenzellen herausgefunden hat. Sie hängt demnach davon ab, wie die Proteine CAP1, SRF und dessen Bindungspartner MRTF miteinander interagieren. Wie genau der Steuerungsprozess vor sich geht, berichtet das Team in der Fachzeitschrift „Science Signaling“.
Um Netzwerke im Hirn zu knüpfen, ist der Umbau von Nervenzellen nötig; er umfasst insbesondere Änderungen des Zellskeletts. Die Vernetzung ist abhängig vom Genregulator SRF, der durch das Protein MRTF aktiviert wird. Treten diese beiden Moleküle im Zellkern als Paar auf, aktivieren sie nachgeschaltete Gene, die das Zellskelett kontrollieren.
„Frühere Arbeiten haben die große Bedeutung des Transkriptionsfaktors SRF und seines Helfers MRTF im Gehirn aufgezeigt“, erläuterte der Neurobiologe Prof. Dr. Marco Rust von der Philipps-Universität, der die Forschungsarbeit leitete. „Was das Zusammenspiel von MRTF und SRF in Nervenzellen steuert, war bislang jedoch weitgehend unverstanden.“
Ein wichtiger Bestandteil des Zellskeletts, der zur Vernetzung von Nervenzellen beiträgt, sind Ketten aus dem Gerüstmolekül Aktin. „Die Bildung langer Fäden aus Aktin wird durch Regulatoren gesteuert, ebenso der Abbau“, legte Rusts Mitarbeiter Dr. Sharof Khudayberdiev dar. Er ist einer der Leitautoren des Fachaufsatzes.
Zu den Steuermolekülen gehört das Protein CAP1. „Experimente an Versuchstieren haben gezeigt, dass sich das wachsende Gehirn nicht normal entwickelt, wenn CAP1 fehlt“, erklärte Khudayberdiev. „Ohne das Protein werden Nervenbahnen während der embryonalen Hirnentwicklung nicht gebildet.“
Die Arbeitsgruppe nutzte molekulargenetische und pharmakologische Verfahren, um das Zusammenspiel von SRF und MRTF mit CAP1 in isolierten Nervenzellen aufzuklären. „Wir konnten zeigen, dass CAP1 das Zusammenspiel von MRTF und SRF in Nervenzellen unterbindet“, berichtete Rust. Das Team konnte auch den zugrunde liegenden molekularen Mechanismus klären: Den Befunden zufolge hemmt CAP1 die Aktivität von SRF, indem es dessen Partner MRFT außerhalb des Zellkerns zurückhält. Ohne die Kopplung an MRTF kann SRF nicht dafür sorgen, dass nachgeschaltete Gene korrekt arbeiten, die zur Verknüpfung von Nervenzellen beitragen.
Welche Bedeutung CAP1 zukommt, zeigt ein weiteres Experiment des Teams: Enthalten die Zellen ein mutiertes CAP1-Gen, so entsteht ein funktionsunfähiges Genprodukt; weil CAP1 dann MRTF nicht zurückhalten kann, gelangt mehr davon in den Zellkern – die Aktivität von SRF steigt.
„Störungen der MRTF-SRF-Funktion sind mit der Alzheimer-Erkrankung, Autismus und Schizophrenie in Verbindung gebracht worden“, ergänzte Rust. „Neue Erkenntnisse über die Regulation von MRTF-SRF sind die Voraussetzung, um neuartige Therapieansätze zu entwickeln, die nicht bloß die Symptome bekämpfen, sondern die molekularen Ursachen solcher Krankheiten.“
Rust leitet die Arbeitsgruppe „Molekulare Neurobiologie“ am Institut für Physiologische Chemie des Marburger Fachbereichs Medizin. Er gehört dem neurowissenschaftlichen Forschungszentrum „Center for Mind Brain and Behavior“ (CMBB) an. Neben Rusts Arbeitsgruppe beteiligte sich die Abteilung „Massenspektrometrie und Elementanalytik“ des Marburger Fachbereichs Chemie unter ihrem Leiter Dr. Uwe Linne an der wissenschaftlichen Arbeit, die der Veröffentlichung zugrunde liegt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die italienische Stiftung Fondazione Cariplo unterstützten die Forschungsarbeiten finanziell.
* pm: Philipps-Universität Marburg