Erneut ergiebig: Ergebnisse der Befragung behinderter Jugendlicher

Die Ergebnisse der Befragung zu inklusiven Angeboten hat die Stadt vorgestellt. Sie möchte Jugend all jenen ermöglichen, die strukturell davon ausgeschlossen sind.
„Jugendliche sind individuell und vielfältig“ heißt es in dem Abschlussbericht, der die Freizeitwünsche und Bedürfnisse von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen in den Blick nimmt. Dabei wird deutlich: Genauso vielfältig muss das Angebot sein, damit sie sich beteiligt und in ihrer Individualität respektiert fühlen.
„Uns ist es wichtig, unsere Angebote nah an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren“, erklärte Bürgermeisterin Nadine Bernshausen. „Darum freut es uns umso mehr, dass es gelungen ist, mit Jugendlichen und Heranwachsenden mit Beeinträchtigungen darüber ins Gespräch zu kommen, was ihre Interessen und Ideen zur Freizeitgestaltung betrifft. Jedes Interview und jeder Onlinefragebogen hat dazu beigetragen, Handlungsempfehlungen zu entwickeln, um die Bedarfe zu erkennen und unsere Angebote zukünftig daran ausrichten zu können.“
Der Fachdienst Jugendförderung der Universitätsstadt Marburg hatte in enger Kooperation mit dem Verein zur bewegungs- und sportorientierten Jugendsozialarbeit Marburg (bsj) eine Erhebung zum Freizeitbedarf von jungen Menschen mit Beeinträchtigung im Alter von 11 bis 25 Jahren beauftragt und begleitet. Unter dem Titel „Alle dabei!“ wurden Jugendliche im Raum Marburg zwischen Mai und November befragt. Die Umsetzung erfolgte über einen Onlinefragebogen, Einzelinterviews mit Jugendlichen sowie Gruppeninterviews mit Eltern.
Das Projekt wurde durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) gefördert. „Wenn jemand etwas ausprobieren möchte, dann unterstützt das Ministerium dieses Vorhaben gerne“, erklärte Anne Moll vom HMSI..“Und die Stadt Marburg ist, was Inklusion betrifft, schon seit Jahren Vorreiter. Das Projekt in Marburg haben wir sehr gerne gefördert, gerade, weil der Schwerpunkt auf der Partizipation der Jugendlichen liegt und Beteiligung uns wichtig ist.“
Bernshausen ergänzte: „Wir möchten damit auch dem Auftrag nachkommen, die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit explizit für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung zugänglich zu machen.“ Das Ziel der inklusiven Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe wurde mit dem 2021 in Kraft getretenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz im Sozialgesetzbuch VIII verankert. Dieser verpflichtende Reformprozess fordert die Kinder- und Jugendhilfe auf, ihre Leistungen und Angebote inklusiv zu gestalten.
Bernshausen dankte dem Verein zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib), dem BSJ Marburg und dem Bereich FaBiKu des Lebenshilfewerks Marburg-Biedenkopf für die unterstützende Kooperation sowie für die wissenschaftliche Begleitung und Umsetzung durch Marcel König von der University of Applied Sciences in Frankfurt (UAS). König hatte die wissenschaftliche Begleitung und Umsetzung der Erhebung übernommen und stellte seinen Abschlussbericht vor. Wichtige Erkenntnisse darin sind beispielsweise, dass sich viele Jugendliche mit Beeinträchtigungen kaum beteiligt fühlen. Sie wünschen sich aber, gefragt zu werden, was sie möchten.
Sie möchten aktiv einbezogen und nicht auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden. So heißt es in dem Abschlussbericht beispielsweise: „Jugendliche sind in erster Linie Jugendliche! Jugendliche sind individuell und vielfältig.“
Viele der befragten Jugendlichen verbringen einen Großteil ihrer Freizeit Zuhause, was jedoch dazu führt, dass sie ihre Freizeit eher ausschließlich mit der Familie als mit Gleichaltrigen verbringen. Dagegen wünschen sie sich mehr persönlichen Kontakt mit Freund*innen oder Freizeitaktivitäten außerhalb des eigenen Wohnbereichs gern auch ohne erwachsene Begleitpersonen. Barrieren, vor allem das „Hinkommen“ betreffend, erschweren jedoch die Umsetzung. Auch fehlende Kenntnis über bestimmte Angebote führt dazu, dass sich die Freizeitgestaltung eher im eigenen Zuhause abspielt.
Inklusive Angebote werden zwar generell als positiv wahrgenommen, doch bemängeln die Jugendlichen, dass diese Angebote eher nur von jenen mit Beeinträchtigung wahrgenommen werden. Andererseits stellen diese Angebote einen gewissen „sicheren“ Rahmen ohne Diskriminierungs-Erfahrungen aufgrund ihrer Beeinträchtigungen dar.
Diese gravierende Differenz zwischen tatsächlichen und gewünschten Aktivitäten, gewünschten Freundschaften und gelebten Kontakten, belastet die befragten Jugendlichen. Die Interviews mit den Eltern brachten hervor, dass auch sie sich zum Teil stark belastet und überfordert fühlen, was beispielsweise Beantragungen bestimmter unterstützender Leistungen betrifft. Ebenso sei es manchmal auch schlicht nicht leistbar, den eigenen Kindern bestimmte Freizeitangebote zu ermöglichen.
König fasste seine Erkenntnisse im Abschlussbericht zusammen, indem er deutlich machte, dass Jugendliche mit Beeinträchtigung strukturell nicht die gleichen Chancen auf eine Jugend haben wie Jugendliche ohne Beeinträchtigung. Inklusion im Freizeitbereich verstehe er daher so, „Jugend für all jene zu ermöglichen, die strukturell von Jugend ausgeschlossen sind“. Seine Ergebnisse führen zu Handlungsempfehlungen.
So müsse es beispielsweise sowohl inklusiv geöffnete Freizeitangebote für alle Jugendlichen geben als auch geschlossene, die ausschließlich für Jugendliche mit Beeinträchtigungen sind. Dabei müsste mitgedacht werden, wie die Jugendlichen dorthin und wieder nachhause gelangen. Zusätzlich sollte es auch Angebote im ländlichen Raum geben. „Wichtig ist, Wege zu finden, die es auch Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen ermöglichen, selbstbestimmt Erfahrungen zu machen“, resümierte Bernshausen.
Neben Königs Präsentation der Forschungsergebnisse gab es zuvor noch einen Fachbeitrag von Prof. Dr. Bettina Bretländer zum Thema „Jugendlichen mit Behinderung eine Stimme geben!“. Zum Abschluss stand die Podiumsdiskussion „Quo vadis? Inklusion im Freizeitbereich in Marburg“ auf dem Programm. Moderiert wurde die Veranstaltung von Andreas Winkel.
Zudem gab es die Gelegenheit, sich beim „Markt der Möglichkeiten“ über Beratungsstellen, Finanzierungsmöglichkeiten, Freizeitaktivitäten und weiteres zu informieren. Die Ergebnisse der Befragung „Alle dabei“ finden sich als Kurzbericht zum Herunterladen auf der Seite der Jugendförderung der Stadt Marburg unter www.hausderjugend-marburg.de/alle-dabei.

* pm: Stadt Marburg

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