Der 3. Dezember ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Nachdem sich ihre Situation jahrzehntelang immer weiter verbessert hat, droht vielen von ihnen nun eine harte Ausgrenzung.
Grund dafür ist die zunehmende Digitalisierung von Dienstleistungen. Sie nimmt wenig Rücksicht auf Behinderte. Barrierefreiheit greift sie in aller Regel als Umsetzung technischer Standards auf, die idealtypische Zugehörige bestimmter Behindertengruppen berücksichtigen.
Umfassende Barrierefreiheit hingegen berücksichtigt alle Menschen in ihren individuellen Belangen. Dazu zählen auch Menschen mit gleich mehreren Behinderungen. Sie kommen leider aber oft selbst in Behindertenorganisationen zu kurz, die sich auf die üblichen Anforderungen der jeweils vertretenen Behinderung konzentrieren.
Auch nach der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNO) müssen Anbieter von Dienstleistungen nur „Angemessene Vorkehrungen“ zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen treffen. Die UN BRK versteht darunter „notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Solche „angemessenen Vorkehrungen“ sind also die gebotenen Gegenmaßnahmen, die einer Person mit Behinderung(en) die soziale Teilhabe konkret sichern.
Deswegen fordert der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen auch für private Anbieter von öffentlich zugänglichen Dienstleistungen und Produkten, die auch digital sein können. Beispiele für angemessene Vorkehrungen sind mobile Rampen, die Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetscherinnen oder aber eben auch die Möglichkeit zu telefonieren, wenn man das Internet nicht nutzen kann. Zur Unterstützung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen oder Mehrfachbehinderungen setzt sich der Behindertenbeauftragte darüber hinaus für Digitalassistenzen ein, damit diese Zielgruppe bei der Nutzung digitaler Angebote Unterstützung erhält. Wichtiger als eine – immer mit viel Organisationsaufwand verbundene –
Assistenz wäre jedoch ein „Recht auf analoge Kommunikation“ für alle. Doch selbst beim Telefonieren geht in jüngster Zeit immer weniger ohne das Eintippen von Ziffern oder Zahlencodes. In Arztpraxen und bei Behörden wird dergleichen immer häufiger angefordert.
Die Volksbank Mittelhesssen (VBMH) beispielsweise hat kürzlich die bislang fünfstellige PIN beim Telefonbanking auf acht Stellen verlängert. Onlinedienste und Telefonanbieter verlangen sogar die Eingabe mehrerer Codes mit bis zu 20 Ziffern. Wie sollen Blinde oder Menschen mit zitternden Händen solche Eingaben innerhalb von Sekunden hinbekommen?
Mehr als 10 Millionen Menschen in Deutschland sind behindert. Mehr als eine Million hat vermutlich sogar gleich mehrere Behinderungen. Es ist höchste Zeit, dass ihr Recht auf Teilhabe nicht mehr länger und immer tiefer eingeschränkt wird!
* Franz-Josef Hanke