Memoria: Workshop zum Mahnmal im Südviertel

Memoria Denkmalsworkshop

Dr. Thomas Spies und Stefan Zech im Workshop zur Umgestaltung des Mahnmals „Memoria“ am Friedrichsplatz

Gegen Rassismus und rechte Gewalt richtet sich das Mahnmal „Memoria“ auf dem Friedrichsplatz. Die künftige Gestaltung dieses Erinnerungsorts war Thema eines Workshops am Freitag (17. November).
Bis zu 50 Anmeldungen hätte die Stadt für die Veranstaltung im Technologie-
und Tagungszentrum (TTZ) entgegengenommen. Gekommen waren jedoch nur knapp 30 Personen. Dafür blieben viele von ihnen den gesamten Nachmittag über bis in den Abend hinein und beteiligten sich eifrig an den Diskussionen um das Mahnmal selbst und seine Ausgestaltung.
Zunächst hatte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies in seiner Begrüßung auf die jüngste Städtepartnerschaft Marburgs mit Moshi in Tansania verwiesen. Er beschrieb sie als klare Absage an Rassismus und kolonialistisches Denken. Bei seinem Besuch in Moshi habte er – gemeinsam mit Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner – auch auf die Greueltaten deutscher Kolonialtruppen hingewiesen.
„Mitten in Moshi steht ein Baum“, berichtete Spies. „Dort wurden aufständische Häuptlinge aufgehängt. Ihre Schäden wurden nach Berlin gebracht und dort in rassistischen Sammlungen aufbewahrt.“
Gerade die Älteren Menschen in Moshi seien der Marburger Delegation sehr dankbar gewesen, dass sie dieses dunkle Kapitel deutsch-tansanischer Beziehungen von sich aus angesprochen hatte. „Die Jüngeren wollten den Blick hingegen eher in die Zukunft richten“, berichtete Spies. „Doch man kann die Zukunft nur dann verantwortungsvoll gestalten, wenn man sich der Vergangenheit bewusst ist.“
Erinnerung als Mahnung ist auch der Kern des Mahnmals „Memoria“ auf dem Friedrichsplatz. Initiatoren waren Aktive der Jugendplattform „Solidarität. Sie hatten das Mahnmal des Künstlers Alexeir Diaz Bravo zum ersten Jahrestag des rassistischen Mordanschlags in Hanau auf dem einstigen Adolf-Hitler-Platz aufgestellt.
Neun Menschen aus Familien mit Migrationsgeschichte waren am 19. Februar 2020 von einem Rechtsextremisten ermordet worden. An sie wie auch die vermutlich über 300 weiteren Opfer rassistischer Mordtaten in Deutschland soll das Mahnmal erinnern. Mit zwei einstimmigen Stadtverordnetenbeschlüssen vom 28. Mai 2021 und vom 25. März 2022 erklärte sich die Stadtgesellschaft grundsätzlich solidarisch mit dem Anliegen der Plattform, dem Gedenken einen deutlich sichtbaren Ort im Stadtraum zu ermöglichen.
Allerdings gab es auch Widerspruch zur Gestaltung des Mahnmals und seiner Position auf dem Platz. Es störe die Blickachse der historischen Grünfläche, lautete einer der Kritikpunkte. Um diese Kritik aufzugreifen und dem Mahnmal dennoch einen dauerhaften Platz in Marburg zu sichern, trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Stadt und der Jugendplattform mit Anwohnenden des Südviertels zu dem Workshop.
In Arbeitsgruppen diskutierten sie über dessen Gestaltung wie auch seinen möglichen Standort und seine Größe. Zudem sprachen sie über die Aussage, die das Mahnmal transportieren soll. Schließlich ging es auch um eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit zum Anliegen des Mahnmals.
Schnell wurde klar, dass ein Platz vor dem Hessischen Staatsarchiv am Friedrichsplatz am geeignetesten für die Aufstellung des Mahnmals ist. Seine künftige Größe könnte ungefähr derjenigen entsprechen, die das jetzige Kunstwerk hat.
Dennoch war besonders die Anwohnerschaft im Südviertel von der Art der inoffiziellen Mahnmalsetzung und dem damals gewählten Standort irritiert. Gemäß den Beschlüssen wurde mit dem Workshop der Dialog mit den Anwohnenden in Gang gebracht und umgesetzt.
Ruth Fischer vom städtischen Fachdienst Kultur legte zunächst die Vorgeschichte dar und erläuterte die Rahmenbedingungen der Arbeit des Workshops. 15.000 Euro ständen dafür im aktuellen Haushalt zur Verfügung. Für 2024 seien 25.000 Euro dafür vorgesehen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage der Stadt sei die Chance für das Mahnmal gerade jetzt besonders günstig, meinte sie.
Mediator Stefan Zech stellte dann die Themen von vier Arbeitsgruppen vor, die die Rahmenbedingungen für die Ausschreibung zu einem Künstlerwettbewerb ausarbeiten sollten. Eine Jury aus Vertretern von Stadt, Stadtparlament und Anwohnerschaft solle dann den besten Entwurf auswählen. Die Voraussetzungen dafür solle der Workshop ausarbeiten.
Das Bemühen um ein gemeinsam getragenes Ergebnis prägte die Diskussionen der Arbeitsgruppen. So legten sie eher generelle Grundlinien fest als detaillierte Anforderungen an das Mahnmal. Die vorgegebene Größe des Areals beim Staatsarchiv fand dabei ebenso Zustimmung wie diee Positionierung dort.
Als Baumaterial konnten sich mehrere eine Gestaltung aus Sandstein und Bronze vorstellen. Diese gemischte Materialkonstellation symbolisiere auch die Vielfalt der Gesellschaft und ihre Durchmischung. Unabdingbar sei jedoch, dass das Material beständig sei gegen Angriffe und Beschädigungen, mit denen angesichts der bisherigen Erfahrungen durchaus zu rechnen sei.
Zur Aussage wurde betont, dass sie zwar anschlussfähig an Positionen der Mehrheitsgesellschaft sein solle, aber Konflikte nicht zukleistern dürfe. Das Mahnmal solle durchaus auch zu Denkanstößen anregen. „Stacheelig“ solle es sein und „spitz“, aber nicht anklagend.
Gleichzeitig solle es auf die Gefahren von Rassismus für die Demokratie hinweisen und damit auch auf die Zukunft verweisen. Künftiges Verhalten sei schließlich das Ergebnis, das dieses Mahnmal erreichen solle. Allerdings dürfe das nicht geschichtsvergessen sein.
Auch wenn Gewalt kein schönes Thema sei, solle das Mahnmal den Frieden des Friedrichsplatzes nicht stören. Allerdings solle es auch nicht in diesem Platz verschwinden. Letztlich müsse es die Bevölkerung aufrütteln und zum Nachdenken anregen.
Zur Einbettung des Mahnmals in die öffentlichen Debatten wurde die Anbringung eines QR-Codes vorgeschlagen, der auf weiterführende Informationen im Internet verweist. Sie könnten eine Verknüpfung mit anderen Gedenkorten in der Nähe herstellen und so „die Topografie des Gedenkens“ vom Deserteursdenkmal an der Frankfurter Straße über den Ort der Bücherverbrennung auf dem Kämpfrasen und den „Garten des Gedenkens“ am Ort der – 1938 von den Nazis niedergebrannten – Synagoge an der Universitätsstraße bis hin zur einstigen Gestapo-Zentrale im Kilian auf dem Schuhmarkt
Eine Internetseite böte zudem die Möglichkeit, die Liste von Namen der Opfer rassistischer Gewalt immer wieder zu ergänzen und zu aktualisieren. Schließlich befürchteten wohl alle Anwesenden, dass sie mit den Anschlägen am 19. Februar 2020 in Hanau die Geschichte rassistischer Gewalt in Deutschland noch nicht an ihr Ende gelangt sein wird. Gerade deshalb sei das Mahnmal ja so wichtig.
Angesichts der geringen Zahl an Interessierten beim Workshop überlegten die Anwesenden auch, wie das Mahnmal noch stärker in der Nachbarschaft verankert werden könnte. Eine Idee war dabei die Aufstellung des „Roten Sofas“ unter dem Weihnachtsbaum auf dem Friedrichsplatz. Bei Glühwein und Punsch könnten sich die Verantwortlichen der Stadt sowie die engagierten Unterstützerinnen und Unterstützer dann mit der Bevölkerung austauschen.
Nach der Vorstellung dieser praktischen Überlegungen ging eine Nachbarin dann doch noch einmal ans Wesentliche: Ihr mache der zunehmende Antisemitismus und Rassismus Angst, betonte sie. Ein anderer Anwohner des Friedrichsplatzes betonte die Bedeutung des antifaschistischen Engagements für den Fortbestand der freiheitlichen Demokratie.
Am Ende fragte Fischer, ob jemand der Anwesenden bereit sei, in der Jury zur Auswahl eines Kunstwerks für den Friedrichsplatz mitzuwirken. Eine Anwohnerin sagte sofort zu; eine weitere wollte sich das noch einmal überlegen. Alle Anwesenden ermutigten sie, die Chance zu einer nachhaltigen demokratischen Gestaltung des Südviertels nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

* Franz-Josef Hanke

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