Eine Wanderung auf den Spuren einer Bittprozession gibt es am Sonntag (22. Oktober). Eine kleine Kirche mit großer historischer Bedeutung ist ihr Ziel.
Eine kleine Kirche spielte vor fast 550 Jahren eine entscheidende Rolle bei großen historischen Ereignissen. Daran erinnert eine Wanderung am Sonntag (22. Oktober). Die lutherische Marien-Kirche im Stadtteil Wehrshausen ist das Ziel dieser Wanderung, wie sie es auch im Jahr 1474 bei einer von Landgraf Heinrich III. veranlassten Bittprozession gewesen ist.
Der Weg führt vom Marburger Schloss über den Hauptfriedhof und den Sellhof zur Wehrshäuser Höhe und durch den Wald hinunter nach Wehrshausen bis zur Kirche. Ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Prozession anno 1474 auch genau diese Route genommen haben, ist nicht klar, aber die Prozession an sich ist buchstäblich Geschichte – mit Einfluss sowohl auf die bauliche Entwicklung der Kirche als auch auf die Geschicke des Landes.
„Hintergrund ist die so genannte Kölner Stiftsfehde“, erklärte Bernhard Jeide vom Kirchenvorstand der evangelischen Kirchengemeinde Wehrshausen. Er ist am Sonntag (22. Oktober) für die Führung in der Marien-Kirche zuständig, während der Vorsitzende Ludwig Michel von der Seniorengruppe Wehrshausen vor dem Start am Marburger Landgrafenschloss über den historischen Teil referiert. Von dort aus erging 1474 von Landgraf Heinrich III.
die Bitte an die Bevölkerung, sich an einer Bittprozession zu beteiligen, um Gottes Segen in einer Auseinandersetzung zu erbitten, die Auswirkungen auf ganz Europa hatte.
Die „Kölner Stiftsfehde“ nahm ihren Anfang, nachdem Ruprecht von der Pfalz als Erzbischof von Köln sich mehr als weltlicher Landesherr gerierte und seine bischöflichen Pflichten vernachlässigt hatte. Daraufhin wurde der Geistliche Hermann von Hessen – Bruder des in Marburg residierenden Landgrafen Heinrich III. – zum Stiftsverweser des Erzbistums bestimmt. Ruprecht überwarf sich mit seinen Räten, versuchte Steuerforderungen durch die Besetzung des ans Kölner Domkapitel verpfändete Stadt Zons durchzusetzen und die Privilegien der Städte im Erzstift zu beschneiden.
Der von Ruprecht zu Hilfe gerufene Karl der Kühne belagerte daraufhin die Stadt Neuss. Daher kommt auch die Bezeichnung „Neusser Krieg“. Kaiser Friedrich III. stellte das Reichsaufgebot auf und marschierte gegen Karl. Landgraf Heinrich III. mobilisierte zudem das hessische Heer zur Verteidigung, um seinen Bruder zu unterstützen.
Die heutige Marien-Kirche in Wehrshausen war zu der Zeit eine kleine Kapelle, die allerdings Wallfahrtscharakter hatte, weil viele Pilger sie auf dem Weg zur Elisabethkirche besuchten, sagt Bernhard Jeide. Um Gottes Segen in der Auseinandersetzung zu erbitten, organisierte Heinrich III. eine kirchliche Prozession.
Das Ende der kriegerischen Geschichte war die Rettung der Stadt Neuss und der Region Niederrhein und das Schreckgespenst, das Karl der Kühne in Europa darstellte, war entzaubert. Die Bittprozession hatte also Erfolg gehabt.
Zum Dank dafür wurde die kleine Kapelle in Wehrshausen auf Veranlassung des Landgrafen zur Marien-Kirche in ihrer heutigen Form erweitert – aus einem unscheinbaren Raum mit Flachdecke wurde ein schmuckes gotisches Kirchlein. Der ehemalige Teil der Kapelle bekam einen Chorraum als Anbau und wurde aufgestockt und baulich angeglichen.
Das Marienbildnis, das zu Zeiten von Heinrich III. in der Kapelle verehrt wurde, existiert heute nicht mehr. Ein von Ludwig Juppe gestaltetes Bildnis, das dessen Platz einnahm, befindet sich derzeit im Museum des Landgrafenschlosses. Im Innenhof des Schlosses wird Ludwig Michel am Sonntag (22. Oktober) an die geschichtlichen Hintergründe erinnern, nachdem alle diejenigen, die gut zu Fuß sind, die Wanderung schon einmal sozusagen in umgekehrter Richtung absolvieren konnten.
Treffpunkt ist um neun Uhr morgens an der Kirche in Wehrshausen. Von dort aus geht es Richtung Schloss, der Vortrag dort findet um 10:30 Uhr statt.
Alle, die die Strecke nicht mehr bewältigen können, aber trotzdem dabei sein wollen, haben die Möglichkeit, um 10 Uhr an der Marien-Kirche in einen Bus zu steigen. Diesen Bus stellen die Stadtwerke Marburg (SWM) extra zur Verfügung, um auch älteren und gehbehinderten Menschen die Teilnahme an der Veranstaltung zu ermöglichen.
Im Anschluss an den Vortrag geht es dann – entweder zu Fuß oder eben mit dem Bus – auf die Wanderung zurück nach Wehrshausen. Dort schließen sich eine Führung von Bernhard Jeide durch die Kirche und eine Andacht an. Je nach Wetter gibt es dann noch im Kirchgarten oder in der Kirche einen kleinen Imbiss als Ausklang.
Die Veranstaltung ist ausdrücklich überkonfessionell und auch für auswärtige Interessierte offen. Organisiert wird sie vom Kirchenvorstand der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wehrshausen und der Seniorengruppe Wehrshausen. Die Teilnahme ist kostenlos.
* pm: Evangelischer Kirchenkreis Marburg