“Es braucht ein weites Herz wie deins”, erklärte Idil Baydar. Ihre emotionale Laudatio für Preisträgerin Serpil Unvar rührte alle zu Tränen.
Die Verleihung des Marburger Leuchtfeuers 2023 war wohl die bewegendste Feierstunde seit der Einführung des Preises im Jahre 2005. Unvars Schicksal, ihre Kraft, ihr Mut und ihre Liebe berührten alle Anwesenden sichtlich.
Im historischen Saal des Rathauses wurde am Donnerstag (20. Juli) das Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte an Serpil Teniz Unvar überreicht. “Serpil ist eines der größten und wichtigsten Vorbilder unserer Zeit”, erklärte die sichtlich bewegte Kabarettistin Baydar. Für die Gründung der Bildungsinitiative “Ferhat Unvar” und ihre Arbeit für chancengleichen Bildung wurde die Hanauerin ausgezeichnet.
Die Preisträgerin verlor im rassistisch motivierten Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau ihren Sohn Ferhat Unvar. Dieser unverwindbare Verlust stellte sie jedoch vor einen unmöglichen, emotionalen Zwiespalt. “Mein Sohn wurde von Rassismus getötet. Ich musste etwas tun!”, erklärte sie. Ihre Wut müsse irgendwo hin, “doch ich kann keine Menschen hassen”. Sie könne Menschen nicht mit dem gleichen Hass begegnen, der Ferhat das Leben gekostet hat.
Sie wählte stattdessen die Liebe zu ihrem Sohn als treibende Kraft und “nutzte ihre intensiven Gefühle, um Gutes zu erreichen”, bemerkte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies in seiner Begrüßungsrede.
Zum Geburtstag ihres Sohnes gründete Serpil Unvar am 14. November 2020 die Bildungsinitiative “Ferhat Unvar” . “Ferhat war Bildung so wichtig”, sagte sie und berichtete von seinem Wunsch nach einem gleichberechtigten und zugänglichen Bildungswesen. “Ich will Ferhats Kampf weiterführen. Das ist meine Kraft und dadurch ist ein Teil von ihm noch hier”.
Die Bildungsinitiative bietet Jugendlichen und Eltern eine Anlaufstelle wenn ihnen Rassismus oder Diskriminierung im Alltag begegnen. “Ausgehend von einer blutigen Mordtat, wendet sich diese Initiative der großen und großartigen Aufgabe zu, in Deutschland eine bessere Zukunft für alle zu entwickeln”, erklärte Jury-Sprecher Egon Vaupel. Voller Emotion berichtete er über die mangelnden Chancen “in unserer Gesellschaft, die noch viel Nachholbedarf hat”. Er bedankte sich ausdrücklich bei Unvar und drückte seinen tiefen Respekt durch eine kurze Verbeugung aus.
Franz-Josef Hanke von der Humanistischen-Union (HU) erklärte auch wie wichtig das Datum der Preisverleihung für die Thematiken Rassismus und Diskriminierung ist. “Vor 79 Jahren scheiterte das Selbstmordattentat des Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Der 20. Juli 1944 ist damit zum Tag der Warnung vor Faschismus und verbrecherischem Rassenwahn geworden”, erläuterte der HU-Regionalvorsitzende. Auch der Tag der Preisverleihung sei als Zeichen gegen Rassismus und Hass zu verstehen.
Unter donnernden Applaus bezog Hanke auch Stellung zum Asylrecht, das er als “unveräußerliches und unveränderliches Gesetz” erklärte. Der zustimmende Beifall hielt lange an. Minutelanges Klatschen und Jubeln folgte häufig auf Aussagen der Redenden.
Besonders die Laudatio von Idil Baydar egriff die Gäste und rührte auch Preisträgerin Serpil Unvar zu Tränen. Weinend bedankte sich die Kabarettistin bei Unvar, „für das was du für unsere Kinder, für unsere Bildung und für unsere Gesellschaft tust“. Denn „es braucht Herzensbildung“, betonte Baydar in ihrer Rede. Jene Qualitäten die wirklich wichtig seien, „Mitgefühl, Freundschaft und Liebe, werden alle im Herzen gebildet“.
Vorsitzender Lasse Wenzel vom Kinder- und Jugendparlamentes Marburg (KiJuPa) verlas zu musikalischer Untermalung die Namen der neun Opfer aus Hanau: Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Das Klatschen hörte nach der Verlesung gar nicht mehr auf.
Dankbar und mit Tränen in den Augen nahm Serpil Unvar die Urkunde von Oberbürgermeister Spies und Jury-Sprecher Vaupel entgegen. „Der Preis gehört auch den Jugendlichen. Sie haben von Anfang an an mich geglaubt und mir Kraft gegeben“, erklärte sie und richtete sich damit an die jungen Menschen aus Hanau die sie zur Preisverleihung begleitet hatten.
Anschließend berichtete sie von der ersten Versammlung ihrer Bildungsinitiative. „Nur 17 Beteiligte in einem kleinen Kellerraum. Keiner glaubte an mich und an uns“, erzählte Unvar. „Doch wir haben gewonnen. Wir haben gelernt dass wir zusammen halten und zusammen kämpfen müssen. Wir müssen eine Stimme sein!“.
Einen Blick in die Zukunft voller Hoffnung und Selbstsicherheit ermöglicht Serpil Unvar mit ihrer Arbeit und durch ihre Stärke. „Rassismus tötet uns, Rassismus spaltet uns – aber mit Bildung kann man das Leben von Kindern beeinflussen und den Jugendlichen Mut für die Zukunft geben“, erläuterte sie das Ziel ihrer Bildungsinitiative. „Bildung ohne Rassismus bedeutet für mich eine Gesellschaft ohne Rassismus“.
Preisträgerin Unvar hatte zuvor in ihrer Rede aufgezeigt, wie ihre Initiative Verbindungen schafft. “Rassisten sind vernetzt, warum sind wir es nicht?”, fragte sie. Die Feierstunde war auch in dieser Hinsicht ein wichtiger Anlass. So wurden an diesem Tag neue Verknüpfungen geschaffen für eine gerechtere, sichere und respektvollere Welt.
Jury-Mitglied Jochen Schäfer spielte am Ende der Preisverleihung am Klavier die Leuchtfeuerhymne. Alle Anwesenden stimmten mit ein. Sie sangen den Refrain und wurden schließlich zu einer klangvollen, starken, gemeinsamen Stimme. Es war ein Tag voller Herzensbildung.
* Acelya Simsek
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