Er hat vieles eingeführt, was im Kreis heute selbstverständlich ist. Eine lange Liste an Pioniertaten zählte Landrat Jens Womelsdorf dazu auf.
Gewürdigt hat der amtierende Landrat damit das wirken seines einstigen Amtsvorgängers Prof. Dr. Kurt Kliem. Am Mittwoch (19. Juli) erhielt der SPD-Politiker für sein jahrzehntelanges Wirken zum Wohle der Allgemeinheit den „Kreislöwen“. Das ist die höchste Auszeichnung, die der Landkreis zu vergeben hat. Von 1985 bis 1996 war Kliem Landrat des Kreises Marburg-Biedenkopf.
Während seiner Amtszeit richtete der Kreis unter anderem eine Frauengleichstellungsstelle ein und unterzeichnete den Partnerschaftsvertrag zum Bezirk Berlin-Charlottenburg. Außerdem realisierte der Kreis unter Kliem ein nahezu flächendeckendes Betreuungsangebot für Schulkinder.
„Professor Dr. Kurt Kliem war insgesamt über 20 Jahre in verantwortlichen Positionen für unseren Landkreis aktiv“, berichtete Womelsdorf. Elf Jahre davon war er Landrat des Kreises Marburg-Biedenkopf. „Aus eigener Erfahrung als Landrat weiß ich, dass man jederzeit dienstlich und persönlich für den Landkreis und seine Einwohnerinnen und Einwohner einstehen muss“, betonte Womelsdorf.
Durch seinen Einsatz habe Kliem einen wichtigen Beitrag zur positiven Entwicklung des Landkreises geleistet und wichtige Grundsteine gelegt, die heute noch tragen, erklärte Womelsdorf weiter. Kliem engagierte sich von 1972 bis zur Gebietsreform im Jahr 1974 ehrenamtlich als Abgeordneter im Kreistag des Altkreises Marburg. Anschließend gehörte er bis 1985 im Kreistag des neu gegründeten Landkreises Marburg-Biedenkopf an.
In seiner Amtszeit als Landrat hatte Kliem auch mit dem Aufbau eines flächendeckenden Betreuungsnetzes für ältere Menschen begonnen, damit sie auch bei Pflegebedürftigkeit im Alter in ihrer angestammten Wohnung bleiben konnten. „Du hast das angstoßen, wovon wir hier heute profitieren“, erklärte Womelsdorf. Kreistagsvorsitzender Detlef Ruffert betonte die Vorarbeiten zum Aufbau des Jugendbildungswerks im Kreis, bei denen er indirekt mit Kliem zusammengearbeitet hatte.
„Das wichtigste Thema aus meiner Sicht fehlt in dieser Auflistung“, erklärte Kliem in seinem Dankeswort. Das sei die Müllentsorgung gewesen, berichtete er. Nichts habe damals so heftige Debatten ausgelöst wie die Errichtung einer neuen Mülldeponie oder die Einführung der Mülltrennung.
„In stadtallendorf wurde der Müll von einem privaten Unternehmen auf offenen Lastwagen abtransportiert“, erinnerte sich Kliem. „Selbst die Abdeckung mit einem Netz, damit bei der Fahrt nichts herunterfällt, wäre nicht diskutierbar gewesen, erläuterte er. Und Müll sei damals alles gewesen, was abtransportiert wurde, einschließlich dessen, was heute als „Sondermüll“ entsorgt werden muss.
Seine Professur an der Universität für die Position des Landrats aufzugeben, sei ihm leicht gefallen, erklärte Kliem. „Allein in Gießen gibt es mehr als 100 Professorinnen und Professoren, aber in ganz Hessen nur 27 Landräte.“ Als Landrat sei er nah bei den Menschen gewesen, wohingegen er als Hochschullehrer und Wissenschaftler meist für sich allein gearbeitet habe.
Berührend wurde es, als Kliem zum Schluss von einem Erlebnis aus Kindertagen erzählte. Damals war die Familie gerade von Ziegenhain weggezogen, wo seine Mutter dann einige Monate später Verwandte besuchte. Dabei sei sie auf der Straße stehengeblieben und habe länger mit einer älteren Frau geredet.
Die Leute am Ort hätten sehr misstrauisch darauf reagiert, berichtete Kliem. Die Bekannte seiner Mutter war nämlich ihre frühere jüdische Chefin gewesen. 1939 war es keine Selbstverständlichkeit, mit ihr auf der Straße ein Gespräch zu führen.
Von seiner Mutter habe er gelernt, wie wichtig Mitmenschlichkeit ist. Das sei eine Lektion, für die er ihr bis heute dankbar sei, erklärte der 92-jährige Kliem.
* Franz-Josef Hanke