Stück für Stück: Unkonventionelle Ausstellung zur Stadtgeschichte

Die Ausstellung „Stück für Stück“stellt 35 Erinnerungsobjekte von Marburger*innen in den Mittelpunkt. Gezeigt wird sie ab Freitag (10. März) im Rathaus.
„Stück für Stück“heißt eine neue und zugleich ungewöhnliche Ausstellung. Sie zeigt Porzellan aus der einstigen Tiergarten-Gaststätte, Schlosssouvenir, Blick auf den Stadtteil Richtsberg oder solider Bierseidel von Marburgs Traditionsbrauerei. Ab Freitag (10. März) stellt sie spannende Rückblicke auf die Stadtgeschichte mit solchen persönlichen Objekten von Marburgerinnen und Marburgern in den Mittelpunkt.
Zur Eröffnung durch Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies lädt die Universitätsstadt Marburg alle Interessierten für 17 Uhr in den neuen Ausstellungssaal im Erdgeschoss des Rathauses ein. Die insgesamt 35 Erinnerungsobjekte werden bis zum 23. April bei freiem Eintritt zu sehen sein.
Wer sie entdecken will, ist zugleich willkommen, über Wege und neue Perspektiven der Erinnerungskultur nachzudenken. Erzählt wird die jüngere Geschichte Marburgs mit dem Ausstellungsprojekt diesmal aus Sicht von Marburger Bewohnerinnen und Bewohnern selbst. Auch sie werden zur Eröffnung erwartet.
Die Ausstellungsmacherinnen setzen bewusst auf den Werkstattcharakter von „Stück für Stück“ als Beitrag zur stadtmusealen Entwicklung Marburgs. Dabei richtet sich der Blick gerade auch auf Beteiligung und die Frage, wie und von wem wird Geschichte erzählt.
Beim Projekt „Stück für Stück“ trifft „Kunst & Krempel“ auf Stadtgeschichte(n) von Bürger*innen und will so zugleich zum Entdecken und zum Austausch anregen. Für einen ersten geführten Rundgang steht Ruth Fischer, Marburgs Fachdienstleiterin für Kultur, gleich nach der Eröffnung für die Besucher*innen bereit.
In Video- und Audioaufnahmen geben die Leihgebenden von unterschiedlichsten Marburg-Objekten ihre Rückblicke und erklären, was ihren Gegenstand für sie zu einem „Stück Marburg“ macht. Ihre (Stadt)geschichten nimmt „Stück für Stück“ als Impuls auf, folgt den Erzählungen, konzipiert elf thematische Stationen für die Besucher*innen und greift bewusst nur vorsichtig ein. Die Menschen mit ihren Geschichten stehen im Zentrum, kommen selbst zu Wort.
Denn es geht um Beteiligung und wie in diesem Kontext eine Ausstellung entsteht. Ende 2022 hatte die Stadt alle Marburger*innen zum Mitmachen eingeladen. Rund 30 Bürger*innen holten ihre Erinnerungsstücke aus der Schublade, vom Dachboden oder aus dem Keller. Und auch Oberbürgermeister, Bürgermeisterin und Stadträtin gewähren Einblick in ihre persönlichen Marburg-Erinnerungen.
„Draußen stank es immer, aber drinnen roch´s ganz gut!“, erinnert sich eine Marburgerin mit „Stück für Stück“ etwa an den Schulweg entlang der Brauerei am Pilgrimstein. Jetzt steuert sie nicht nur ihre persönlichen Worte zur neuen Ausstellung bei.
Doch auch weniger bekannte Orte – wie der Tiergarten, der sich in den 30er Jahren östlich von Weidenhausen erstreckt – bekommen ihren Platz. Neben verschwundenen Orten lernen Gäste der Ausstellung die Lebensgeschichte von Ilse Flachsmann kennen, eine der wenigen Jüdinnen, die sich nach ihrer Deportation und KZ entschied, nach Marburg zurückzukehren. Wie ein Bleistiftspitzer zu Erinnerungen an diese Marburger*in führt? Nicht nur das kann beim Besuch im Rathaus erkundet werden.
Gleich den Einstieg bildet ein kurioses Objekt: Ein Taxi-Funkbuch von 1962. Die minutiöse Auflistung der Fahrten offenbart Einblicke ins Marburg vor 60 Jahren. Etwa die nächtliche Tour vom „Deutschen Eck“ zum „Berggarten Marbach“, die es so nicht mehr gibt. Aber auch soziale, demografische oder politische Gegebenheiten in der Stadt spiegeln sich in Erinnerungen wider, ob in Buttons, Plakaten oder einer Stadtteilzeitung. Anhand von anderen Objekten werden traditionelle Anlässe wie das Unisommerfest oder die „Sommer“konzerte zum Leben erweckt.
Eine weitere Station von „Stück für Stück“ wird dem Kolonialismus gewidmet sein. Über zwei Objekte aus dem frühen 20. Jahrhundert befasst sich die Ausstellung mit dem Boxeraufstand in China und dem Völkermord an den Herero, bei denen auch Marburger Soldaten eingesetzt wurden. Puppe und Porzellanfigur sind wohl als Mitbringsel nach Marburg gekommen. Heute erinnern sie daran, dass Kolonialismus nicht etwa nur von großen Städten ausging, sondern auch zur Marburger Geschichte gehört.
Ebenfalls eine wichtige Rolle in den Erinnerungen kommt der Weidenhäuser Brücke als Symbol der Vernetzung zu. Als eine der ältesten Brücken verbindet sie den Stadtkern „mit der Welt“. Anhand von zwei Gaststätten – dem Gasthaus Hannes und dem Gasthof Hecht – wird genau das mit „Stück für Stück“ erzählt.
Mit einem selbst gemachten Stich und Souvenirs geht es auch um Marburgs sicher bekanntesten Exportartikel: das Schloss. Seit dem 17. Jahrhundert halten die Menschen die wunderbare Ansicht immer wieder fest. Aber auch der Richtsberg als einer der jüngsten und multikulturellsten Stadtteile, Marburgs Mitte oder der Rückblick auf die Siedlung Am Krekel sind bei „Stück für Stück“ vertreten.
Die geplant elf Stationen zu den Themen „Marburg im Überblick“, „Gesellschaft und Geselliges“, „Kolonialismus“, „Über Weidenhausen hinaus“, „Schlossansichten – Grüße aus Marburg“, „Vom Pilgrimstein zum Biegen“, „Uni an der Biegenstraße“, „Synagoge und Garten des Gedenkens“, „Richtsberg –
jung und bunt“, „Beteiligungswand“ und „Krekel und Vinzidorf“ laden alle Gäste zu einer Reise der Erinnerungen ein.
Wie und was wollen wir erinnern? Wer redet über Geschichte? Ausgehend von diesen Fragen haben Ruth Fischer, Julia Brandt, und Lisa Bingenheimer „Stück für Stück“ entwickelt. Sie realisierten das Projekt im Rahmen ihres berufsbegleitenden Masterstudienganges „Schutz Europäischer Kulturgüter“ an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder. Alle drei arbeiten hauptberuflich in der Kulturverwaltung: Fischer ist Leiterin des Fachdienstes Kultur der Stadt Marburg, die jetzt zur Ausstellung ins Rathaus einlädt. Ihre Kommilitoninnen sind in Denkmalfachämtern beschäftigt. Lisa Bingenheimer wird nach Oberbürgermeister Spies zur Eröffnung am 10. März sprechen.
Das Ausstellungskonzept, bei dem es nicht um Vollständigkeit geht, wurde zudem in enger Abstimmung mit einem Kuratorium entwickelt. Die Stadtteilarbeit BSF am Richtsberg, die Blista Marburg, die universitären Sammlungen, Behindertenbeirat, Altenplanung, Sozialplanung, Ausländerbeirat, Mosaikschule, Kinder- und Jugendparlament sowie das Unimuseum brachten Wissen und Erfahrung ein. Die Ausstellung wird täglich von Dienstag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr zu sehen sein.

* pm: Stadt Marburg

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