Marburgs gemütlichster Biergarten befindet sich „Bei St. Jost“. Betrieben wird er von einem griechischen restaurant.
Seit vielen Jahren trägt dieses Lokal Bei St. Jost 5 den Namen „Irodion“. Vorher hatte es einmal einen anderen Namen. Sicher bin ich mir nicht, ob er „Odysseus“ war oder gar „Zeus“.
Gut entsinnen kann ich mich aber einiger erfreulicher Besuche in dem Biergarten. Dabei ist seine Lage zwischen Eisenbahn und Autobahn alles andere als idyllisch. Doch die alten Kastanienbäume und die Kieswege zwischen den Tischen und Stühlen machen einen besuch in dem Garten zu einem erbaulichen erlebnis.
Hinzu kommen die Gaumenfreuden beim Gyros mit Reis und Salat oder Pommes Frites und selbstverständlich auch Zaziki. Die Portionen waren groß und der Geschmack gut. Auch das Dessert aus warmem Milchreis mit Rosenöl, Zucker und Zimt sowie einem Blatt Minze konnte mich eine Zeit lang begeistern.
In aller Ruhe konnte man im Biergarten miteinander plaudern, während man die anderen Gäste an den Nebentischen nur ab und zu einmal lauter lachen oder sonst meist leise reden hörte. Zwischendurch gab es gelegentlich das Geschnatter eines Pfaus. Gleich zwei Pfauen plusterten sich in einem Drahtkäfig auf einer Wiese zwischen Biergarten und Bahnstrecke auf.
Alle 15 Minuten donnerte dann ein Zug direkt hinter diesem Käfig vorbei. Für einige Momente konnte man das Wort seiner Nachbarin oder seines Nachbarn dann kaum mehr verstehen, während sich der Lärm der Wagggons allmählich immer weiter entfernte. Etwas ungemütlicher wurde es, wenn zusätzlich auch ein Güterzug an dem Garten vorbeidonnerte und eine schier endlose Reihe ratternder Waggons die Ohren betäubten.
Die Stadtautobahn B3A auf der anderen Seite hingegen war im biergarten kaum zu hören. Zwischen ihr und der gekiesten Fläche lag noch eine Reihe Bäume und der geteerte Parkplatz sowie die schmale Straße „Bei St. Jost“ und der Treppenaufgang. Er führt zum „Louis-Adorf-Steg“ über die Stadtautobahn hinweg hinüber zur Weidenhäuser Straße.
Gerade die Pausen zwischen den vorüberdonnernden Zügen gaben der dann eintretenden Stille etwas Köstliches. Ihr Genuss schien umso größer, als der Fahrplan ihn schon nach 15 Minuten wieder stören würde. Zudem wirkte das Ambiente gerade dadurch wie ein kleines Stück vom letztlich unerreichbaren Paradies, wozu letztlich auch der längst aufgegebene Friedhof direkt nebenan beitragen mochte.
Gern habe ich im Sommer unter den Schatten spendenden Kronen der großen Bäume gesessen und Gyros gegessen. Gerne habe ich dort Bier getrunken und war in schöne Gespräche versunken. Genossen habe ich die Ruhe zwischen den Zügen aus dem Bierglas und den Zügen auf den Bahngleisen hinter dem Zaun.
Drinnen im Haus war ich nur drei oder iermal. Mehrere Stufen führen vom Parkplatz hinauf in die Gaststube. Einmal war ich auch bei einer Pressekonferenz in einem eher engen Nebenzimmer des Restaurants.
Der Biergarten jedoch gehörte vor Allem in den späten 80er Jahren im Sommer zu meinen Lieblingsrestaurants. War damals das „Krokodil“ an der Weidenhäuser Straße meine Stammkneipe, so war das „Irodion“ gleich hinter der Stadtautobahn am Ende von Weidenhausen bei schönem Wetter mein bevorzugter Ort zum Essen-Gehen mit Freundinnen und Freunden. Aber auch später ging ich gelegentlich gerne dorthin, wo ich mich wie auf einer Insel zwischen Weidenhausen und dem Alltag fühlte.
Besonders gut erinnere ich mich an einen Besuch im „Irodion“ vor vielleicht zehn Jahren. Damals war ich mit meiner Nichte Nicole dorthin gegangen, die ihr Studium in Marburg weiterführen wollte. Der Abnd war warm und ein wenig schwül.
Es muss ein Tag Ende Autust oder Anfang September gewesen sein. Jedenfalls waren die Wespen gierig auf Protein. In riesigen Schwärmen flogen sie heran, um sich an den Speisen der Restaurantbesucher gütlich zu tun.
Am Ende jedes Tisches stand ein Teller mit einigen Stücken Gyros. Zunächst einmal flogen die Wespen dorthin. Nicole beschrieb mir, wie die Fleischstücke nach den Besuchen der Insekten sichtlich kleiner wurden.
Irgendwann kamen die Wespen dann auch zu uns. Wir baten den Kellner, etwas gegen die ungebetenen Mitesser zu unternehmen; doch er zuckte nur mit den Achseln. So verging uns allmählich der Appetit und die Freude am Abendessen im Biergarten.
Am nächsten Tag kamen zwei oder drei Wespen auf meinen Balkon. Nicole und ich saßen dort gerade mit einem Stück Kuchen. Den aber wollten die Wespen anscheinend nicht unbedingt haben, weshalb sie sich nach wenigen Bewegungen von uns bald wieder anderswohin verzogen.
Ungetrübt waren hingegen meine Gespräche im Garten des „Irodion“ mit Denkmalschützern und Politikern sowie mit meinem alten Kumpel Kasi. Trotz der regelmäßigen – wenn auch immer wieder vorübergehenden – Lärmattacken ist der Biergarten zwischen Autobahn und Eisenbahn für mich der gemütlichste in Marburg. Nicht zuletzt wegen ihm gehört das „Irodion“ für mich auch zu den legendären Lokalen in Marburg.
* Franz-Josef Hanke