Als „unwirksames Plazebo“ bezeichnet der Marburger HU-Regionalvorsitzende Franz-Josef Hanke das neue „Triage-Gesetz“. Durch die – am Donnerstag (10. November) im Deutschen Bundestag verabschiedete – Regelung werden Menschen mit Behinderungen strukturell benachteiligt.
Den Schutz behinderter Menschen vor Benachteiligung im Fall einer Triage hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Dezember 2021 verlangt. Das daraufhin ausgearbeitete Gesetz wird dieser Anforderung nach Auffassung vieler Behinderter wie auch der Humanistischen Union (HU) nicht gerecht. Die Bürgerrechtsorganisation hatte am Samstag (17. September) im Marburger Stadtverordnetensitzungssaal eine Tagung zu Triage und den Gefahren der Priorisierung bei medizinischen Leistungen durchgeführt.
Ein zentraler Punkt war dabei die sogenannte „Komorbidität“: Behinderungen ziehen oft Folgeerkrankungen nach sich, die nach der nun verabschiedeten Regelung im Infektionsschutzgesetz (IfG) als Begründung für die Aussonderung der Betroffenen aus medizinischen Therapien sein können. Für möglicherweise Betroffene ist das Gesetz nicht nur eine bittere Pille, sondern im Endeffekt sogar lebensbedrohlich.
Die HU teilt die Hoffnung, dass in Deutschland niemals eine Triage stattfinden darf. Allerdings bezweifelt sie die Behauptung des Gesetzgebers, in Deutschland habe es keine Triage gegeben. Expertinnen und Experten bei der Tagung erklärten diese Behauptung schlicht für unwahr.
„Allein schon die Drohung mit Folter ist Folter“, stellte Hanke klar. Diese bürgerrechtliche Grunderkenntnis lasse sich auch auf die Triage übertragen: „Wer aufgrund seiner Behinderung eine Benachteiligung bei der Vergabe lebensnotwendiger Behandlungen fürchten muss, für den oder die wird dieses Gesetz zur existenziellen Bedrohung.“
Bereits bei der Tagung im September hatte Hanke seine eigene Position als Mehrfachbehinderter dargestellt und zugleich auf die geschichtliche Belastung des Umgangs deutscher Mediziner mit Behinderten im Rahmen der sogenannten „Euthanasie“ hingewiesen. Die strukturelle Fremdheit vieler Ärztinnen und Ärzte gegenüber Betroffenen sei dabei nur ein Problem. Das medizinische Berufsethos gehe auch vom „heilen“ und damit intakten Menschen ohne Beeinträchtigung aus.
„Behindert ist man nicht; behindert wird man.“ Dieser alte Spruch der Behindertenbewegung trägt nach Hankes Ansicht neben der strukturellen Benachteiligung noch eine zweite Bedeutung in sich: „Im Laufe ihres Lebens wird ein Großteil der Menschen irgendwann eine Behinderung haben, die mit zunehmendem Alter voranschreitet.“
Darum sei das neue Gesetz ein unwirksames Plazebo, das mögliche Betroffene nicht beruhigen kann. „Nur ein Teil der Ärzteschaft wiegt sich damit in einer vermeintlichen Sicherheit“, bemerkte Hanke. „Sie sollten immer daran denken, dass auch sie sich eines Tages auf der vulnerablen Seite wiederfinden werden.“
* pm: Humanistische Union Marburg