Biere am Abend: Liedermacher Ulrik Remy im Hinkelstein

Zu den Marburger Kult-Kneipen gehört auch der „Hinkelstein“. Er befindet sich im ältesten Wohnhaus von Marburg.
Das „Steinerne Haus“ am Obermarkt wurde zwischen 1319 und 1323 im gotischen Stil erbaut. Damit ist das Gebäude „Markt 18“ das älteste erhaltene Wohngebäude Marburgs. Oben im Haus befindet sich eine Filiale des Standesamts und ein Friseursalon, während unten im Kellergewölbe seit 1973 ein Lokal mit dem Namen „Hinkelstein“ betrieben wird.
Seit 1992 ist Jost Praetorius der Wirt dieser Studentenkneipe. Ihren Charakter hat sie in den fast 50 Jahren seit ihrer Eröffnung kaum verändert. Darum kommen auch ehemalige Marburger Studierende gern wieder in den „Hinkelstein“.
Das „Steinerne Haus“ befindet sich am Obermarkt schräg gegenüber vom Gasthaus „Zur Sonne“ etwas oberhalb die Mainzer Gasse hinauf. Das gotische Gebäude aus Bruchstücken vermittelt auch außen die Atmosphäre, die der Bierkeller unten ausstrahlt. Alles ist einfach gehalten und von altmodischem Charme geprägt.
Gleich hinter der großen hölzernen Tür beginnt die steile Steintreppe hinab ins Kellergewölbe. Als Handlauf dienen verknotete Taue. An ebensolchen Seilen schwebt auch ein Monolit über der Theke.
Auf dem Steinfußboden stehen einfache Holzbänke und Tische. Daran sitzen die Gäste bei großen Bierkrügen oder anderen – meist alkoholischen – Getränken. Ein Speiserestaurant war und ist der „Hinkelstein“ nicht.
Dafür gibt es Musik meist der Richtungen Rock, Popp oder Folk. In den 70er Jahren wurde die Musik oft auch live gespielt. In der Regel kam und kommt sie jedoch vom Band.
Ende der 70er Jahre war ich häufiger im „Hinkelstein“. In den 80er und 90er Jahren ließ die Zahl meiner Besuche dort immer mehr nach, weil ich nicht nur zum Trinken ins Restaurant ging, sondern dort auch gern etwas essen wollte. Deshalb bin ich seit mehr als 20 Jahren gar nicht mehr dort gewesen.
Allerdings entsinne ich mich einiger legendärer Besuche in dem Musik-Keller. Am deutlichsten im Gedächtnis geblieben ist mir ein Abend irgendwann vermutlich im Jahr 1979. Damals trat dort der Liedermacher Ulrik Remy aus Köln auf.
Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hatte seinen jüngeren Kollegen einmal „Kabaremy“ genannt. Im „Hinkelstein“ trug Remy nicht seine Kompositionen „Neuer Musik“ vor, sondern seine humoristischen Chansons wie das Lied mit Wortspielen über einen Zoobesuch. Dazu spielte er auf der Gitarre.
In seinen Zwischenansagen machte er sich über die „ZDF-Hitparade“ von Dieter Thomas Heck lustig. Er imitierte den hastigen Sprachstil des Moderators und rief: „Rainer, fahr ab!“
daraufhin erntete er heftiges Lachen an unserem Tisch. Dort saß ich gemeinsam mit Kommilitoninnen und Kommilitonen, die am Vormittag bei der Gerichtsverhandlung gegen einen Kommilitonen namens „Rainer“ gewesen waren. Er war wegen Unfallflucht angeklagt worden, weil er in trunkenem Zustand in Bauerbach einen Gartenzaun umgefahren hatte.
Um sein Strafmaß zu mildern, hatte er einen anderen Kommilitonen angeschuldigt, in dessen Freundin er verknallt war. Das war die Rache von Rainer. Darum lachten wir heftig über Remy und seinen Spruch „Rainer, fahr ab!“.
Remy wiederholte diesen Satz an jenem denkwürdigen Abend mehrfach. Jedesmal bogen wir uns auf unseren Bänken vor Lachen. Verstehen konnte der Kabarettist und Liedermacher den Grund dieses Gelächters freilich nicht, weil er die Vorgeschichte über Rainer und seine tragische Fahrt gegen den Gartenzaun nicht kannte.
Nach diesem Abend mit Livemusik von Remy wiederholten wir den Satz jedesmal, wenn wir gemeinsam im „Hinkelstein“ saßen. Die Phrase „Rainer, fahr ab!“ war für uns bald zum Synonym für einen lustigen Abend in dem gotischen Gewölbekeller geworden. Der Bierkeller wiederum ist sicherlich nicht nur für mich eines der legendären Lokale in Marburg.

* Franz-Josef Hanke

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