Mit der Aufnahme meines Studiums wurde ich 1978 zum Stammgast im „Blitz-Imbiss“. Das Schnellrestaurant war damals eine kostengünstige Alternative zum „Mensa-Fraß“.
Wenn ich auf dem Weg vom Hörsaal zur Mensa keinen Anschluss gefunden hatte, bog ich gleich hinter der Weidenhäuser Brücke nach dem Ampelüberweg über den Erlenring nach links ab. Wenn das Speisenangebot der Mensa nicht überzeugte, ging ich mitunter auch mit meinem Kommilitonen Kasi dorthin. Jahrelang bin ich dem Imbiss an der Weidenhäuser Brücke treu geblieben, das mir immer ein warmes Mittag- oder Abendessen anbot.
Direkt am brückenkopf der Weidenhäuser Brücke befand sich bei der Einmündung der Lingelgasse der Glaspavillon mit dem Imbiss darin. Gegenüber seiner Eingangstür zweigte die Weidenhäuser Straße vom Erlenring ab in den schönsten historischen Stadtteil Marburgs außerhalb der Oberstadt. Das Gebäude des Scchnellrestaurants stand jedoch in starkem Kontrast zu den historischen Fachwerkhäusern in der alten Gasse, die mehr als hundert Jahre zuvor einmal das Armenviertel Marburgs gewesen war.
Von 1986 bis 1992 wohnte ich an der Weidenhäuser Straße. In dieser Zeit war ich wohl mindestens zwei- bis dreimal die Woche im „Blitz-Imbiss“ anzutreffen, wenn Zeit oder Geld nicht für einen Besuch in einem „richtigen“ Restaurant reichten. Manchmal hatte ich aber auch nur einfach Bock auf Bratwurst.
„Bratwurst mit Brötchen ohne Senf“ lautete meine Standardbestellung. Die Besitzerin kannte mich bald und wusste schon bei meinem Eintreten durch die Glastür, was ich bestellen würde. Auch ihrem Ehemann war ich bald ein guter Bekannter.
Hinter dem Tresen brutzelten sie Bratwurst und andere Würstchen oder zapften Bier. Bereits mittags saßen manche Stammgäste auf den Barhockern vor der Theke und tranken ihr Sucht-Pensum. Im Volksmund wurde der Imbissladen darum auch „Blitz-Suff“ genannt.
Doch die Betreiberin wusste die Trinker in Zaum zu halten. Gegenüber allen Kunden war sie dabei jedoch immer freundlich und zugleich bestimmt. Getränke und Speisen wie beispielsweise auch Pommes Frites und Gegrilltes servierte sie ihren blinden Gästen auch an den kleinen runden Tischen, an denen die Gäste auf Barhockern saßen.
Ihre Tochter war mit einem blinden Studenten liiert. Darum kannte die Mutter sich aus mit den Erfordernissen der sehbehinderten und blinden Kundschaft. Bald kamen mehr und mehr Menschen mit Sehbeeinträchtigungen zu ihr.
Neben dem Imbiss siedelte sich bald ein Copyshop an. Tausende von Studentinnen und Studenten strömten tagtäglich vom Rudolphsplatz über die Weidenhäuser Brücke und die Ampelquerung des Erlenrings am „Blitz-Imbiss“ vorbei. Nicht wenige kehrten dort auch ein.
Fast jede Demonstration führte damals an dem Imbiss vorbei über die Weidenhäuser Brücke zum Rudolphsplatz und weiter zur Oberstadt oder ins Südviertel. Schon von weitem stieg mir dann der Duft der gebratenen Würstchen in die Nase; und nicht selten bin ich dann schnell hineingegangen und habe mir eine Bratwurst im Brötchen mitgenommen. Auch den Rückweg nahmen die Demonstrationen meist über die Brücke zur Mensa hin.
Die Lingelgasse, die neben dem kleinen Pavillon in den Erlenring einmündete, wurde im Volksmund „Ho-Tschi-Minh-Pfadam Lahnufer entlang zur Mensa “ genannt, weil demonstrierende Studenten dort während des Vietnamkriegs entlangzogen und laut „Ho, Ho, Ho Tschi Minh“ riefen. Heute heißt dieser Pfad „Hermann-Cohen-Weg“.
Das kleine Gebäude direkt am Brückenkopf gibt es seit mehreren Jahren auch nicht mehr. Der Verbreiterung der Weidenhäuser Brücke stand es im Weg. Das Besitzer-Ehepaar hatte das Geschäft ohnehin bereits aus Alterstründen aufgegeben.
Ich erinnere mich jedoch an viele nette Gespräche mit der Besitzerin und meinem Kollegen Wolfgang, der in den 80er Jahren auch in Weidenhausen wohnte. Wie ich war auch er damals Stammgast im „Krokodil“ und im „Blitz-Imbiss“. Angesichts meiner angenehmen Erinnerungen reihe ich das Schnellrestaurant in Weidenhausen ohne Zögern mit ein in die illustre Reihe der legendären Lokale in Marburg.
* Franz-Josef Hanke