Pro Pirat: RNA regelt Verläufe von Covid-19

RNA-Moleküle nehmen eine Schlüsselstellung bei schweren Verläufen einer Infektion mit dem Coronavirus ein. Das haben Forschende aus Marburg am Mittwoch (24. August) mitgeteilt.
Nimmt eine COVID-19-Erkrankung einen schweren Verlauf, so geht das mit einer verminderten Konzentration des Steuermoleküls „PIRAT“ einher; diese Absenkung trägt zu einer überschießenden Immunantwort bei, wie sie für schwere Fälle typisch ist. Zu diesem Ergebnis kommt eine bundesweite Forschungsgruppe durch molekulargenetische Analysen an weißen Blutkörperchen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Leon Schulte vom Institut für Lungenforschung der Philipps-Universität berichten im Forschungsmagazin „PNAS“ über ihre Ergebnisse. Schwere Verläufe bei COVID-19 beruhen demnach oftmals auf einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, die ihrerseits auf eine Fehlsteuerung zurückgeht.
„Zum einen muss der Körper eine schlagkräftige Abwehr von Krankheitserregern gewährleisten; zum anderen darf die Immunreaktion dabei nicht überhandnehmen oder gar Gewebe und Organe schädigen“, erklärte Schulte, der die Forschungsarbeiten leitete. Doch die molekularen Regelkreise, die bei COVID-19 die Immunantwort steuern, sind bislang nicht im Detail verstanden.
Droht eine Schädigung des Körpers etwa durch eine Infektion mit einem Krankheitserreger wie SARS-CoV-2, so lösen Signalmoleküle – sogenannte „Alarmine“ – eine Reaktion der Immunabwehr aus. Das Immunsystem von Säugetieren wie dem Menschen hat ausgefeilte Kontrollmechanismen hervorgebracht, um die Abwehrreaktionen in engen Bahnen zu halten. Die Forschungsgruppe um Schulte untersuchte in Immunzellen von Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19, welche Funktion dabei eine noch weitgehend rätselhafte Molekülklasse übernimmt.
Dabei handelt es sich um die sogenannten „langen nichtkodierenden RNAs“. Sie werden kurz als „lncRNAs“ bezeichnet.
Das Team setzte zu diesem Zweck auf eine neue Variante der Hochdurchsatz-Sequenziertechnik. „Das verwendete Verfahren erlaubt es, die Gegenwart und Menge bestimmter RNAs gleichzeitig in mehreren tausend Zellen aus einer Patientenprobe zu messen“, erläuterte Koautor Prof. Dr. Holger Garn, der das kürzlich eingerichtete Labor für Einzelzell-RNA-Sequenzierung an der Philipps-Universität leitet.
„Wir konnten zeigen: Das Mengenverhältnis von zwei dieser RNA-Moleküle in Blutzellen ist ausschlaggebend, um die Produktion von Botenstoffen zu regulieren, die mit schweren COVID-19-Verläufen einhergehen“, berichtete Marina Aznaourova aus Schultes Labor. Sie ist eine der federführenden Autorinnen der Studie.
Einerseits liegt das Molekül „PIRAT“ in den Blutzellen der Betroffenen vermindert vor. Deswegen kann es die Produktion von Alarminen nicht drosseln, die durch andere Faktoren angestoßen wird. Andererseits weisen die Zellen vermehrt das Molekül „LUCAT1“ auf, das die Produktion von Immunproteinen fördert.
„Nichtcodierende RNA nimmt beim Menschen eine Schlüsselstellung bei der systemischen Antwort auf eine Infektion mit dem Coronavirus ein“, fasste Schultes Mitarbeiter Nils Schmerer zusammen. Er ist ein weiterer Leitautor.
„Der Abbau einer solchen RNA hebt eine natürliche Bremse für eine überschießende Immunreaktion auf“, schlussfolgerte Schulte. „Wir glauben, dass ein therapeutischer Eingriff in diesen Regelkreis vor schwerem COVID-19 schützen könnte.“
Neben Schulte und seinem Team beteiligten sich zahlreiche weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Fachbereich Medizin der Philipps-Universität sowie aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Hannover und Berlin an der Studie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK), die Von-Behring-Röntgen-Stiftung sowie weitere Geldgeber haben die zugrundeliegende Forschungsarbeit finanziell gefördert.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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