Neue Methode: Kombination von Verfahren kürzt Wirkstoffsuche ab

Eine Verbindung ausgeklügelter Verfahren führt zur Entdeckung bislang unbekannter Hemmstoffe. Die neue Methodenkombination kürzt die Wirkstoffsuche ab.
Cyanobakterien aus karibischen Korallenriffen produzieren eine Gruppe von Naturstoffen, die Verdauungsenzyme wirksam hemmen. Das hat eine internationale Forschungskooperation um den Marburger Pharmazeuten Prof. Dr. Raphael Reher und den Tübinger Biochemiker Dr. Daniel Petras herausgefunden, indem sie eine neu entwickelte Methodenkombination einsetzte, mit der sich die Vielzahl der potenziellen pharmazeutischen Wirkstoffe aus komplexen Umweltproben systematisch erfassen lässt. Das Team berichtet im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ über seine Ergebnisse.
Mikroorganismen erzeugen zahlreiche Stoffwechselprodukte, deren Nützlichkeit für menschliche Zwecke es noch zu entdecken gilt“, erklärte Seniorautor Petras. „Um die Wirkungsweise solcher Substanzen und ihren molekularen Aufbau zu ermitteln, muss man sie zunächst einmal in Reinform gewinnen. „Zusammen mit der vollständigen Strukturaufklärung dauert dieser Prozess in der Regel Monate bis Jahre.“
Petrasleitet eine Nachwuchsgruppe im Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ der Universität Tübingen. „Dieser langwierige Vorgang stellt einen erheblichen Engpass für die systematische Suche nach neuen Heilmitteln aus Naturstoffen dar“, ergänzte Erstautor Reher, der seit Kurzem Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie am Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität lehrt.
Um die Identifizierung pharmazeutisch vielversprechender Substanzen zu beschleunigen, kombinierten die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrere ausgeklügelte Verfahren. Dadurch gelang es dem Team, zwei Ziele zu verbinden: Zum einen führt die wirksame Trennung von Molekülen dazu, die Bestandteile des Rohextrakts auseinander zu sortieren; zum anderen lassen sich die Wechselwirkungen von Bindungspartnern nachvollziehen.
Dafür nutzte die Forschungsgruppe insbesondere einen neuartigen Ansatz der Massenspektrometrie: Werden bei der Massenspektrometrie üblicherweise Proteine in ihre Bestandteile zerlegt, so geht es bei nativer Massenspektrometrie gerade darum, die räumliche Struktur des Proteins zu erhalten, weil sich daraus dessen Funktion ergibt.
Petras und Reher entwickelten den Versuchsaufbau noch während ihrer gemeinsamen Zeit als Postdoktoranden an der University of California San Diego in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). „Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie komplexe grenzübergreifende Forschungskollaboration funktionieren sollte“, erläuterte Petras. „Ich bin sehr stolz auf unser internationales Team, das verschiedene Disziplinen wie Naturstoff-Forschung, Analytische Chemie und Informatik vereint und damit die Studie ermöglicht hat.“
Reher ergänzte diese Ausführungen: „Dass wir dank der exzellenten Infrastruktur und neuer Kollaborationen in Tübingen und Marburg die Technologie nun hier etablieren und weiterentwickeln konnten, ist dabei ein wichtiger Punkt, der zum erfolgreichen Abschluss der Studie geführt hat und worauf unsere zukünftige Forschung aufbauen wird. Das Team suchte als erste Anwendung nach neuen Hemmstoffen gegen Proteasen – das sind Enzyme, die Proteine abbauen. „Solche Protease-Hemmstoffe setzt man zur Behandlung von Krebs sowie von Virusinfektionen wie SARS-CoV-2, HIV und Hepatitis C ebenso ein wie gegen Diabetes oder Bluthochdruck“, erläuterte Reher.
Als Quelle für wirksame Naturstoffe wählte die Forschungsgruppe Cyanobakterien aus dem Meer, die Biofilme bilden. Das Team verwendete das proteinspaltende Enzym „Chymotrypsin“ als Ziel, gegen das es Hemmstoffe aus der Bakteriengemeinschaft suchte.
„Mit unserem Ansatz identifizierten wir auf Anhieb 30 Verbindungen, die an Chymotrypsin koppeln“, berichtete Reher. Beim Abgleich mit speziellen Datenbanken stellte sich heraus, dass die meisten der gefundenen Moleküle bislang unbekannt waren. Das führte zur gezielten Isolierung und Strukturaufklärung einer Familie neuer, hochwirksamer Hemmstoffe.
„Nach der Bakteriengruppe, aus der die Substanzen stammen, nennen wir diese Rivulariapeptolide“, erklärte Petras. Wie die Autorinnen und Autoren schreiben, halten sie ihren Ansatz für geeignet, die Suche nach einer Vielzahl von Molekül-Wechselwirkungen in komplexen Gemischen zu erleichtern. „Das wird nicht nur der Entdeckung von Arzneimitteln und ökologischen Studien zugutekommen, sondern könnte auch Trainingsdaten für Lernverfahren bereitstellen, die auf künstlicher Intelligenz basieren.“
Neben den Arbeitsgruppen von Reher und Petras sowie weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Marburg und Tübingen beteiligten sich Forscherinnen und Forscher aus Spanien, Puerto Rico, China und den USA an den Forschungsarbeiten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DDFG) und weitere Geldgeber förderten beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziell.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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