Über ein „VinziDorf“ für Wohnungslose haben Teilnehmende in einem Workshop diskutiert. Themen waren dabei Standortkriterien und das Freiwilligenengagement.
In der Universitätsstadt Marburg könnten Männer ohne Obdach vielleicht in naher Zukunft in ein sogenanntes „VinziDorf“ ziehen auf ein Grundstück mit mehreren Minihäusern und einem Gemeinschaftshaus. Mehr als 70 Menschen hatten sich zu dem Workshop „Ein VinziDorf für Marburg“ angemeldet, um insgesamt drei Stunden lang etwas über das Konzept zu lernen und ihre eigenen Ideen einzubringen.
„Wenn man Menschen dafür gewinnen möchte, ein solches Projekt zu unterstützen, ist es wichtig, die Bürger*innen vorab zu informieren und behutsam vorzugehen“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zur Begrüßung der Teilnehmenden des Workshops. „Seit 800 Jahren ist sich umeinander zu kümmern in die DNA von Marburg geschrieben. Wir möchten mit dem Projekt Menschen, die aus der Gemeinschaft herausgefallen sind, zurückholen – sofern sie denn möchten.“
Die Veranstaltung organisiert hatte ein Projektbeirat, in dem ein breites Bündnis unterschiedlicher Einrichtungen gemeinsam mit der Stadt Marburg organisiert ist. Darunterwar neben Spies auch Stadträtin Kirsten Dinnebier.
Mehr als 70 Personen hatten sich zur Teilnahme im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) angemeldet, um mehr über das Konzept zu erfahren, aber auch selbst für Input zu sorgen. Auch Betroffene waren unter den Anwesenden.
Zunächst sprach GeWoBau-Geschäftsführer Jürgen Rausch über das Konzept des VinziDorfs. Es gehe bereits auf das 17. Jahrhundert zurück und auf den Priester Vinzenz von Paul, der sich für Arme und Kranke einsetzte. Das erste VinziDorf wurde schließlich von Pfarrer Wolfgang Pucher gegründet und von der Vinzenzgemeinschaft VinziWerke in Graz betrieben.
„Betroffene finden hier Privatsphäre“, erklöärte Rausch. „Sie haben einen Ort, an dem sie sich aufhalten dürfen, unbefristetes Bleiberecht bis ans Lebensende.“
Die Häuser seien standardisiert und hätten in Wien etwa eine Größe von sieben Quadratmetern. Sie enthielten eine kleine Sanitärzelle – Duschen, Küche, Verwaltungsbüros, ein Speiseraum und Gästezimmer fänden sich dagegen in einem Gemeinschafts- und Funktionsgebäude.
Das VinziDorf in Wien zu bauen habe nur die Hälfte einer vergleichbaren Unterbringung in Wohnhäusern gekostet, erläuterte Rausch. In Marburg gebe es einen Bedarf für zehn Minihäuser. Dafür brauche man eine Fläche von 40 mal 40 Metern.
Die städtische Sozialplanerin Monique Meier klärte noch einmal darüber auf, welche Angebote für Menschen ohne Obdach es in Marburg bereits gibt. Das Diakonische Werk betreibt in der Gisselberger Straße eine Tagesaufenthaltsstätte, die Stadt ein Übernachtungsheim, in dem die Menschen aber nur für einige Nächte schlafen können. Im Ginseldorfer Weg dagegen gibt es eine städtische Obdachlosenunterkunft, die für einen längeren Aufenthalt ausgerichtet sind. Dort leben derzeit elf Personen. Das sind drei Frauen und acht Männer.
Für den Schritt zurück in ein eigenes Mietverhältnis gibt es das Angebot „Probewohnen“ mit derzeit acht von der Stadt angemieteten Wohnungen. „Ziel ist, nach spätestens einem Jahr einen eigenen Mietvertrag zu unterschreiben“, so Meier. Für diesen Weg gibt es von der Stadt pädagogische Unterstützung für die Probewohnenden. „Die AG Wohnungslosenhilfe mit der Stadt Marburg und vielen Partner*innen hat beschlossen, dass geschlechtsspezifische Angebote mit bedarfsgerechten Wohnformen geschaffen werden. Der aktuelle Standort im Ginseldorfer Weg wird aufgelöst.“ So ist derzeit auch eine Unterkunft für Frauen und Familien geplant. Im Stadtteil Ockershausen wird die Stadt ein Wohnhaus mit zehn Plätzen herrichten. Für dieses Projekt sei die Nachbarschaft per Brief, im Ortsbeirat und bei Tür-zu-Tür-Gesprächen eingebunden worden. „So ähnlich wollen wir es auch machen, wenn wir ein Grundstück für das VinziDorf gefunden haben“, so die Sozialplanerin.
Zunächst einmal wurden aber in dem Workshop in einer Arbeitsgruppe Standortkriterien erarbeitet. Meier berichtete gemeinsam mit dem Soziologen Florian Engel von den Ergebnissen einer Befragung von insgesamt acht Wohnungslosen. Auf der Grundlage eines Interviewleifadens wurden Gespräche mit den Betroffen geführt.
Sie erzählten, was ihnen zum Thema Wohnen von der Lage bis zur Ausstattung wichtig sei. Die Befragten waren vor allem ältere Männer. Sie wünschten sich ein abschließbares kleines Haus mit Bett und Tisch, eine zentrumsnahe, aber ruhige Lage, eine gute Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Supermarkt. Genannt wurden zudem Barrierefreiheit, eine Hausordnung mit Regeln des Zusammenlebens, Verwaltungspersonal vor Ort, um die Einhaltung dieser Regeln sicherzustellen und als Ansprechpersonen.
Peter Schmidtn vom Fachbereich Soziales und Wohnen stellte die Ergebnisse aus der zweiten Arbeitsgruppe vor. Sie widmete sich dem Thema Freiwilligenengagement.
Er berichtete von dem Feedback eines Teilnehmers, der von dem respektvollen Ansatz des VinziDorfs beeindruckt sei und deshalb Lust habe, sich einzubringen. Denn es gehe darum, sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen zu orientieren, sagte Schmidt.
Christian Wild, der sich als Ehrenamtlicher in der Tagesaufenthaltsstätte in der Gisselberger Straße engagiert, leitete die Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Moderatorin Karin Buchner. Wild berichtete von vielen Ideen wie dem Anlegen eines Gartens, Kunstangeboten, gemeinsam Kochen, Spazieren gehen, Infotreffen, Feste und Flohmärkte veranstalten. Aber auch die Bewohner des VinziDorfs könnten sich als Freiwillige einbringen und etwa selbst einen Laden betreiben, sagte Wild.
Angesprochen wurde auch, dass Freiwilligenarbeit koordiniert werden müsse. Daran zu denken sei auch, dass die Bewohner auch bei Krankheit und Sterben begleitet werden müssten und es Ansprechpersonen für die Freiwilligen geben müsse etwa bei Konfliktsituationen oder auch zur Supervision.
„Wir haben heute ganz viele Anregungen bekommen, die wir berücksichtigen werden“, resümierte Rausch. „Mit dem Projektbeirat werden wir nun auf Standortsuche gehen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das VinziDorf im Laufe dieses Jahres auf den Weg bringen würden, sodass wir bauen können.“
Sozialplanerin Meier berichtete von den nächsten Schritten in dem Projekt: Zunächst sei am Mittwoch (18. Mai) ein Termin mit allen Ortsbeiräten und Ortsvorsteher*innen geplant. „Wir möchten vorstellen, was heute erarbeitet worden ist und sie einladen, uns bei der Standortsuche zu unterstützen.“
Der Fachbereich Soziales und Wohnen und insbesondere der zuständige Fachdienst Wohnungswesen wird in Abstimmung mit weiteren Beteiligten ein Betriebskonzept erarbeiten, der Kostenrahmen müsse abgeschätzt werden und eine Beschlussvorlage für die politischen Gremien erstellt werden. Zudem sei auch ein weiterer Workshop geplant, bei dem der Projektbeirat wieder alle Interessierten einbinden wird.
Für alle Unterstützerinnen und Unterstützer wurde bereits ein Engagement-Bündnis VinziDorf Marburg gegründet. Bürgerinnen und Bürger, die sich für das VinziDorf und die Menschen engagieren möchten, können sich über die Homepage marburgmachtmit.de/page/VinziDorf beim Fachdienst Bürgerbeteiligung melden und ihre Kontaktdaten aufnehmen lassen. Für konzeptionelle und inhaltliche Fragen können sich Interessierte unter www.gewobau-marburg.de/neubau/neubau-117copy.html informieren oder bei der städtischen Sozialplanerin Monique Meier melden unter der Telefonnummer 06421/201 1933 sowie per Mail an monique.meier@marburg-stadt.de.
* pm: Stadt Marburg