Weinen: Die Schutzlosen, Corona und die Sucht.

Ich treffe mich mit vier Teilnehmenden an verschiedenen privaten Selbsthilfegruppen. Sie Alle haben mit Suchterkrankungen zutun.

Horst ist 46 Jahre alt. Er ist ein akut alkoholkranker Mann. Die frühere Alkoholikerin Elke ist 55 und lebt seit Jahren nüchtern.
Die 38-jährige Silvia ist Mutter einer 17-jährigen drogenabhängigen Tochter, die zeitweise auf der Straße lebte. Nils ist ein Online-Spiele-süchtiger junger Mann von 27 Jahren. Sie alle beschreiben eindringlich, wie sie die zwei Jahre Pandemie mit ihren Suchterkrankungen meistern konnten.
Silvia ist seit mehr als sechs Jahren mit der Drogenabhängigkeit ihrer Tochter konfrontiert. Jenny hat mit zwölf Jahren angefangen, zu rauchen, zu trinken und zu kiffen, die Schule zu schwänzen, in Warenhäusern zu klauen und in allerlei andere Schwierigkeiten zu geraten. Mit dreizehn Jahren ist sie zum ersten Mal von zu Hause abgehauen, und hat in Marburg in einem abbruchreifen Haus mit älteren Jugendlichen zusammen gewohnt. Dort kam sie in Kontakt mit härteren Drogen wie Christal Meth und Heroin.
Tabletten, Cannabis, Zigaretten und Alkohol waren an der Tagesordnung. Mit 16 ist sie dann nach Frankfurt in eine Kommune gezogen und war auch zeitweise wohnungslos. Das war vor zwei Jahren als die Corona-Pandemie begann.
Für wohnungslose Drogenabhängige wurde mit dem ersten Lockdown bereits die Beschaffungskriminalität aber auch der Zugang zu warmen, trockenen und sicheren Plätzen erschwert. Viele Kaufhäuserpassagen, Schlafstätten und soziale Einrichtungen waren geschlossen. Dadurch dass weniger Menschen auf der Straße unterwegs waren, gab es auch weniger die Möglichkeit durch betteln ein wenig Geld einzunehmen oder Nebenjobs in kleinen Läden zu übernehmen. Dadurch ist laut einer Marburger Sozialarbeiterin die Gewalt innerhalb der Szene wesentlich angestiegen.
Die wenigen Möglichkeiten, die es gab Unterkunft, Sicherheit oder eine warme Mahlzeit zu erhalten oder Einkommen zu generieren waren heiß begehrt und hart umkämpft. In den Warteschlangen vor den Ausgaben wurde nichr ausreichend auf Sicherheitsabstand und Hygieneregel geachtet.
Auch die Prostitution von Minderjährigen in privaten Räumen nahm zu, während körpernahe Dienstleistungen allerdings komplett untersagt waren. Gleichzeitig wuchs aber auch die Angst vor Ansteckung. Oft erlebten die Obdachlosen,  dass sie „wie Aussätzige“ behandelt wurden. Beschimpft, bespuckt und verjagt von ihren Bettelplätzen aus Angst und Unwissenheit der Passanten und Anwohnenden.
Aber auch Streetworker und Ehrenamtliche  in den Drogenhilfe-Einrichtungen wussten noch nicht, wie sie sich mit dem Virus verhalten sollten. Solange es noch keine flächendeckenden Tests und genügend Masken gab, wurde übervorsichtig abgewogen, wer einen Schlafplatz bekam und wer nicht.
Natürlich war die Mutter von Jenny auch in großer Sorge wie es ihrer Tochter gehen würde wenn sie auf der Straße an Corona schwer erkranken würde. Wer würde ihr zu Hilfe kommen und sie in ein Krankenhaus bringen? Wer wird dann für Jenny da sein? Würde sie als Mutter überhaupt informiert werden falls ihre Tochter auf der Intensivstation liegt oder an Corona stirbt?
Sie ist damals nach Frankfurt gefahren im ersten Lockdown und hat nach ihrer Tochter gesucht. Sie hat versucht, sie nach Marburg zu holen. Im Sommer 2020 ist dir das tatsächlich gelungen sodass Jenny den Winter Lockdown und das erste Corona Weihnachten 2021 tatsächlich bei ihrer Familie verbrachte und sich in der Zeit auf das konsumieren von Cannabis beschränkte.
Leider setzte dann mit der Möglichkeit der Impfung wieder eine gewisse Sorglosigkeit ein. Jenny wollte auf die Straße zurückkehren. Zwei ihrer besten Freundinnen begannen aber einen Klinikaufenthalt und bestärkten Jenny darin, das auch zu versuchen. Ihre Mutter schaffte es mit viel Reden und Zuwendung einen Rückfall zu verhindern und besorgte ihr einen Platz in einer Einrichtung.
Natürlich war auch in dieser Wohngruppe alles mit sehr strengen Corona Auflagen verbunden was das Zusammenleben der Gemeinschaft erschwerte und zusätzlichen Stress verursachte damit die ganzen Hygiene Maßnahmen eingehalten werden konnen. Besuche war zu Hause waren daher sehr lange in der Einrichtung nicht erlaubt. Ebenso wenig wie Besuche von Angehörigen in der Einrichtung um die Kontakte nach außen und die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten. Praktika, Ausflüge und andere Außenaktivitäten mussten unterbleiben.
Damit wurde natürlich auch der Erfolg von Entzugsmaßnahmen und folgenden Therapien durch Corona erheblich gemindert. Genaue Zahlen, Wie Viele durch Corona eher wieder auf der Straße landen oder rückfällig werden, gibt es natürlich nicht. Die Marburger Sozialarbeiterin schätzt, dass es bis zu 20 Prozent sein könnten, die ohne Corona eine wesentlich bessere Prognose gehabt hätten, von illegalen Substanzen weg zu kommen und wieder in Schule Ausbildung oder Familie zurück zu kehren.
Jenny wohnt nun schon seit fast einem Jahr in der Einrichtung hat dort ihren Hauptschulabschluss fast nachgeholt und hofft im August einen Ausbildungsplatz gefunden zu haben. Sie schreibt jetzt schon Bewerbungen und hofft auf ein gutes Hauptschulabschluss Zeugnis im Sommer.
Natürlich schafft die Corona-Situation auch hier große Ungewissheit, ob das alles gut gehen wird. Wodurch die Motivation bei Jenny schnell negativ beeinflusst wird. Dennoch hofft sie, die Ausbildung zur Lageristin zu schaffen. Sie ist auch ein wenig stolz auf sich, dass sie dies bis jetzt trotz der Corona-Maßnahmen in dieser besonderen Zeit so durchgehalten hat. Vielleicht hat das auch ein bisschen zum Zusammenhalt ihrer Familie beigetragen. Ihr ist sehr viel bewusster geworden durch Krankheits- und Todesfälle in ihrem Umfeld mit Covid 19 infiziert waren,, wie kostbar und wichtig gemeinsame Zeit mit der Familie ist, ebenso wie wichtig sie Jenny, ihrer Familie auch ist. So gesehen hatte diese zusätzliche größere Belastungssituation vielleicht sogar etwas Gutes da sie die Menschen die sich brauchten und lieb hatten, näher zusammen geschweißt hat und damit diesen Therapieerfolg möglich geworden ist.

* Anna Katharina Kelzenberg

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