Versucht der Kreis, eine Betrugsaffäre zu vertuschen? Unmittelbar vor der Kreistagswahl wäre das ein handfester Skandal.
Während der Wahlvorbereitung ist der Kreiswahlleiter von seiner Aufgabe entbunden worden. Eine Anfrage nach den Gründen beantwortete die Pressestelle des Landkreises mit einer nichtssagenden Auskunft: „der bisherige Kreiswahlleiter ist nicht mehr für den Landkreis Marburg-Biedenkopf tätig. Aufgrund dessen hat der Kreisausschuss den bisherigen Mitarbeiter von seinen Aufgaben als Kreiswahlleiter entbunden und den bisherigen stellvertretenden Kreiswahlleiter zum neuen Kreiswahlleiter bestimmt.“
Zu den Gründen seines Ausscheidens hieß es in einer Antwortmail auf eine weitere Nachfrage nur: „der Landkreis Marburg-Biedenkopf erteilt grundsätzlich keine detaillierten Auskünfte zu Beschäftigungsverhältnissen.“ Mehr war von offizieller Stelle nicht zu erfahren.
Die Kreisverwaltung befindet sich hier in einem vertrackten Dilemma: Beantwortet sie die Frage nicht, kann die Öffentlichkeit ihr mangelnde Transparenz vorwerfen. Andererseits muss sie aber auch den Persönlichkeitsschutz ihres einstigen Mitarbeiters wahren.
Vor einem ähnlichen Problem steht auch der Journalist, der den Fall nachrecherchiert: An Akten zu dem Vorgang, die seine Informationen belegen könnten, kommt er nicht heran. Eine Vorverurteilung eines möglicherweise unbescholtenen Menschen verbietet sich aber bereits aus der journalistischen Berufsethik heraus wie auch aus den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen.
Darum betrachtet der Rechercheur die Leistungsbezieherin Beate S. beim Öffnen ihres Hausbriefkastens. Jedesmal, wenn sie ein Schreiben des KreisJobCenters (KJC) herauszieht, bekommt sie Schweißausbrüche und Herzrasen. Angst steigt in ihr auf, obwohl sie sich ziemlich sicher ist, nichts falsch gemacht zu haben.
Die „Rechtsbehelfsbelehrungen“ unter jedem Bescheid ängstigen sie. „Wenn ich diese Schreiben mit den bedrohlichen Konsequenzen lese, fühle ich mich immer wie eine Schwerverbrecherin“, berichtet sie. „Dann komme ich mir manchmal vor, als sei es schon ein Verbrechen, überhaupt Hartz-IV-Leistungen zu beziehen.“
Doch während sich der Generalverdacht des Gesetzgebers gegen die Leistungsbeziehenden richtet, haben die Verantwortlichen in Behörden und Parlamenten da möglicherweise von sich selbst auf andere geschlossen. Nachdem das Ultimatum der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag an die Abgeordneten von CDU und CSU am Freitag (12. März) abgelaufen ist, kann keiner sich sicher sein, dass die Unterschriften unter die angeforderte „Ehrenerklärung“ der Fraktionsangehörigen wirklich jegliche Form von Korruption ausschließen.
Ähnlich könnte es auch im Landkreis Biedenkopf sein, wo vielleicht nicht die Leistungsberechtigten das KJC betrogen haben, sondern möglicherweise ein Bediensteter der Verwaltung. Denkbar wäre, dass er seine internen Kenntnisse ausgenutzt haben könnte, um finanzielle Vorteile für sich zu erschleichen. Was wäre beispielsweise, wenn er Kosten für die Miete eines Leistungsbeziehers in einer Wohnung seines Mehrfamilienhauses in Biedenkopf erhalten hätte, die es gar nicht gibt?
Nachdem er zu Beginn seiner Karriere einige Jahre lang selbst beim KJC tätig war, könnte dieser Beamte allmählich in der Kreisverwaltung aufgestiegen sein. Dadurch besäße er Kenntnisse über die Prüfroutinen ebenso wie die Möglichkeit, auf Verwaltungsvorgänge Einfluss zu nehmen oder zumindest Informationen darüber zu bekommen. Kaum einer seiner Kollegen würde ihn verdächtigen, richtet sich der Verdacht von Betrug doch schon im Gesetz automatisch gegen Leistungsberechtigte.
Irgendwann hätte ein Leistungsbezieher, dem der „ehrenwerte“ Kreisbediente die nicht existente Wohnung „vermietet“ haben wollte, anderswohin „umziehen“ und das angebliche „Mietverhältnis“ kündigen wollen. Dabei sei jedoch aufgefallen, dass er dieses „Kündigungsschreiben“ selbst unterzeichnet habe.
Daraufhin könnte der Kreis eine Überprüfung angestoßen haben. Das betroffene Haus, wo vier Wohnungen von Leistungsbeziehenden finanziert wurden, könnte nur insgesamt drei Wohnungen gehabt haben. Auch könnten die Angaben zur Größe der Wohnungen nicht mit den abgerechneten Quadratmeterzahlen übereingestimmt haben, was eine Ausmessung der drei Wohnungen ergeben haben könnte.
All das könnte dann zur fristlosen Entlassung des Leitenden Mitarbeiters geführt haben. Eine Strafanzeige gegen ihn wurde wahrscheinlich aber nicht erstattet, weil das kurz vor der Wahl Staub aufgewirbelt hätte. Dabei wäre die Kreisverwaltung dazu möglicherweise verpflichtet gewesen.
Der entlassene Jurist hätte dann wahrscheinlich alle verräterischen Einträge bei der Suchmaschine Google löschen lassen. Der nachforschende Journalist hätte viel Mühe gehabt, etwas Stichhaltiges herauszufinden. Könnte die Geschichte wirklich so stattgefunden haben?
All das kann man sich kaum vorstellen. Wahrscheinlich war es auch gar nicht so. Da im Zweifelsfall immer die Unschuldsvermutung zu gelten hat, ist diese Geschichte vielleicht frei erfunden und der genannte Kreisbediente garantiert in keinster Weise damit in Verbindung zu bringen.
* Franz-Josef Hanke