Heuschrecken navigieren mit doppeltem Kompass. Das Insektenhirn bildet den gesamten Himmel ab.
Wüstenheuschrecken tragen einen Kompass im Gehirn, der den gesamten Himmel in voller Rundumsicht repräsentiert. Die neuen Erkenntnisse ergeben sich aus Messungen der elektrischen Aktivität von Nervenzellen, über die Biologen der Universitäten Marburg und Würzburg im Wissenschaftsmagazin „PNAS“ berichten. Ähnliche Ergebnisse hatten 2013 aufgrund der Finanzierung dieser Forschung durch das Pentagon zu heftigen Debatten und 2014 zu einer Zivilklausel der Philipps-Universität geführt.
Die Heuschrecken der Art Schistocerca gregaria leben in der afrikanischen Wüste und zählen zu den Wanderheuschrecken. Von Zeit zu Zeit legen sie weite Strecken zurück. Das Ziel ihrer Wanderung ist genetisch festgelegt, aber wie sich die Tiere orientieren, gibt noch immer Rätsel auf.
„Verhaltensexperimente haben gezeigt, dass Heuschrecken den Schwingungswinkel polarisierten Lichts wahrnehmen und sich im Flug danach orientieren“, erläuterte der Marburger Neurobiologe Prof. Dr. Uwe Homberg. Er ist ein Mitverfasser der aktuellen Studie.
Werden Sonnenstrahlen in der Erdatmosphäre gestreut, so erzeugen sie am blauen Himmel ein Muster an polarisiertem Licht, das für den Menschen nicht sichtbar ist. „Wir haben die elektrische Aktivität gemessen, mit denen Nervenzellen auf die Richtung reagieren, in der das Licht schwingt“, führte Frederick Zittrell aus, der seine Doktorarbeit in Hombergs Arbeitsgruppe anfertigt und als Erstautor der Studie firmiert; „diese Messungen haben wir an bis zu 33 Punkten eines virtuellen Himmels vorgenommen.“
Bestimmte Orientierungen des polarisierten Lichts lösen maximale Aktivität der Neuronen aus. „Diese Orientierung variiert je nach Ursprung des Lichts am Himmel“, ergänzte Homberg. „Die Orientierungen über den ganzen Himmel entsprechen Polarisationsmustern, wie sie bei bestimmten Sonnenständen vorkommen. Diese werden im Zentralkomplex des Heuschreckenhirns in einer Art Kompass kodiert.“
Dabei handele es sich um eine neuronale Repräsentation des Himmels. Das sei gewissermaßen „ein erwartetes Polarisationsmuster, das die Tiere mit dem tatsächlichen Muster abgleichen können“, legte Koautor Prof. Dr. Keram Pfeiffer vom Biozentrum der Universität Würzburg dar.
Wie die Wissenschaftler herausfanden, repräsentieren die Zellen einen sehr großen Ausschnitt des Himmels – der Zentralkomplex gleicht einem Kompass, der volle 360 Grad abdeckt. Die Einstellung der Neuronen passt zudem zu den entsprechenden Sonnenständen.
„Das Insektenhirn ist damit in der Lage, ohne Sicht auf die Sonne deren Position aus dem Polarisationsmuster des Himmels eindeutig abzuleiten“, konstatierte Pfeiffer. „Der Zentralkomplex des Heuschreckenhirns fungiert somit als Schaltzentrale für die Navigation“, fasste Homberg zusammen: „Er kombiniert alle verfügbaren Hinweise vom Himmel, um sie zu einem Kompasssignal zu verschmelzen.“
Homberg lehrt Tierphysiologie mit neurowissenschaftlichem Schwerpunkt an der Philipps-Universität. Pfeiffer leitet eine neurobiologische Arbeitsgruppe an der Universität Würzburg. Die aktuelle Publikation wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
* pm: Philipps-Universität Marburg